Weltsozialforum
Das Weltsozialforum führte Gruppen aus der ganzen Welt zusammen, die friedlich gegen die Politik der Mächtigen protestierten. Ein Modell mit Zukunft?
Das Weltsozialforum im Januar 2007 in Kenia hat eindrucksvoll bewiesen, wie zahlreiche, ja tausende Gruppen und Organisationen, weltweite Vertreter der Zivilgesellschaft, zusammen eine
internationale Veranstaltung organisieren können und gegen die von den Mächtigen diktierte Wirtschaftsordnung eine Gegenöffentlichkeit erreichen können.
Das Weltsozialforum wurde 2001 von Globalisierungskritikern als Gegenveranstaltung zum in Davos tagenden Weltwirtschaftsforum und den G8-Treffen der mächtigen Industriestaaten ins Leben gerufen.
Zehntausende demonstrierten vor wenigen Wochen in Kenia, dass sie nicht mehr einverstanden sind, mit einer Politik und einer Denkweise, die als oberstes Ziel nur die Profitmaximierung und die
Vergrößerung des eigenen Reichtums auf Kosten anderer propagiert. Die unterschiedlichsten Gruppen hatten sich wieder zum Weltsozialforum (WSF) zusammengefunden: sowohl die Globalisierungskritiker
von Attac, linke wie kirchliche Kreise, Basisbewegungen, welche die Opfer neoliberaler Politik vertreten, kritische Demokraten und ehemalige Staatsmänner. Neben dem südafrikanischen
Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela hielt auch Kenneth Kaunda, der Staatsgründer und erste Präsident von Sambia eine Eröffnungsrede.
Der 82-jährige, der von 1964-91 regiert hatte, erklärte u.a.: „ Die Zivilgesellschaft muß die volle Kontrolle über alle öffentlichen Angelegenheiten haben und sich gegen jede Form von
Ausbeutung zur Wehr setzen!“
Ein Satz, den sich auch viele demokratische Parteien und Bewegungen in Deutschland auf der Zunge zergehen lassen sollten, denn in unserem Land gibt es noch genügend oppositionelle Gruppen, die
meinen, politische Veränderungen erreichen zu können, ohne über die grundlegenden Fehler des neoliberalen Systems zu sprechen.
Nun glauben viele Menschen, denen es noch gut genug geht, dass diese Fehler wohl hauptsächlich in der Dritten Welt zu Tage treten, Afrika und seine Probleme weit entfernt liegen. Doch
Globalisierung bedeutet, dass die ganze Welt von dieser derzeitigen und verhängnisvollen Politik betroffen ist. Auch wir hier in Deutschland spüren bereits die Auswirkungen der neoliberalen
Politik. Der Glaube daran, dass eine Privatisierung von staatlichen Unternehmen gleichzeitig höhere Effizienz bedeutet, ist blanker Unsinn.
Großbritannien zum Beispiel hat sein städtisches Wassernetz privatisiert, der deutsche Konzern RWE ist hier federführend tätig. Doch RWE hat – dem neoliberalen Credo der Profitmaximierung folgend
– nichts in die Instandhaltung des britischen Wassernetzes investiert, sondern nur die Bürger 15 Jahre lang abkassiert. Nachdem nun im maroden Netz jede Menge Rohrbrüche zu verzeichnen sind und
der Trinkwasserverlust in London dadurch enorm gestiegen ist, zieht sich der Konzern aus England zurück, da Investitionen und Folgekosten gescheut werden. Die britischen Bürger werden mit ihren
Problemen sitzen gelassen – so sieht die „Effizienz“ der Neoliberalen aus.
Man könnte hier auch die Privatisierung der Deutschen Bahn, den zunehmenden „Wettbewerb“ im Gesundheitswesen, den Trend „Mehr arbeiten für weniger Geld“, den Wegfall
sozialversicherungspflichtiger und existenzsichernder Jobs, den Abbau sozialer und demokratischer Rechte, die Förderung ich-bezogenen Denkens statt des Gemeinschaftssinns und so weiter nennen.
Diese Liste kann man noch weiter fortsetzen. Globalisierung kann man auch übersetzen mit Kommerzialisierung des menschlichen Lebens. Die Anmeldung einer Demonstration kostet je nach Gemeinde ca.
50,- Euro. War dies schon immer so? Wird es bei 50,- Euro bleiben? Rechtsverbindliche Auskünfte beim Finanzamt sind jetzt auch gebührenpflichtig.
Die ganzen bürgerlichen Rechte und Freiheiten, auf die dieser Staat einmal so stolz war, sind immer häufiger nur noch gegen bare Münze zu erhalten. Zu der sozialen
Zwei-Klassen-Gesellschaft kommt womöglich bald eine demokratische Zwei-Klassen-Gesellschaft hinzu – nämlich jene Personen, die das Geld haben, ihre „Rechte“ in der „freiheitlich-demokratischen
Grundordnung“ zu erwerben und jene, die sich dass eben nicht leisten können.
Es muß Aufgabe aller Demokraten in Deutschland sein, die politischen Strömungen, die einen grundsätzlichen Kurswechsel in der Politik anstreben – weg vom neoliberalen Lobby- und Beamtenstaat hin
zu einer echten Demokratie, die Bürgerbeteilung und Minderheitenschutz ernst nimmt, hin zu einem sozial gerechten Staatswesen – zu vereinen oder zumindest ihre Zersplitterung zu überwinden. Das
neue Deutschland soll ein Staat sein, der auch in ökologischer Hinsicht Zeichen setzt und voran geht – z.B. mit der Entwicklung und weltweiten Vermarktung umweltverträglicher Hochtechnologie.
Dieses neue demokratische Deutschland muß auch in der Friedenspolitik mit gutem Beispiel vorangehen. Das bedeutet ein Absage an die Maxime, dass Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen
Mitteln sei. Deutsche Außenpolitik im 21. Jahrhundert kann nur eine gewaltlose Außenpolitik sein. Eine reformierte UNO, in der keine Nation Sonderrechte wie Ständige Sitze im Weltsicherheitsrat
oder Vetorechte hat, muß ebenfalls unser Ziel sein. Die Politik der reichen Staaten und internationalen Finanzinstitutionen gegenüber den Entwicklungsländern muß an der Überwindung der Probleme
dieser Staaten orientiert sein, nicht ausschließlich an Eigennützigkeiten. Der Zugang zu den Rohstoffen in der Welt, dazu gehört auch Trinkwasser, muß gerecht und ökologisch sinnvoll geregelt
werden.
Doch wie kann dieses neue, demokratische Deutschland, dass in der Welt eine so positive Rolle spielen soll, entstehen? Die deutsche Zivilgesellschaft muß in einen Dialog treten, was heißt, dass
viele kleine Parteien, Basisgruppen, politische Vereine und Initiativen über ihren eigenen Schatten springen müssen. Die deutschen Demokraten können sich – wollen sie erfolgreich sein – in
Zukunft nicht mehr leisten, andere demokratische Gruppen der Zivilgesellschaft auszugrenzen, nur weil diese abweichende Ziele verfolgen. Der antiquierte Links-Rechts-Kampf ist hier genauso
hinfällig wie die Abwertung von Bewegungen, die nur lokale Interessen verfolgen.
Mit der Allianz Demokratischer Parteien und Organisationen ist ein erster Schritt zur Vernetzung gemacht. Nun gilt es, klare Ziele der Bewegung zu definieren und nach Partnern Ausschau zu
halten, die ähnliche Ziele vertreten. Das Weltsozialforum hat gezeigt, dass es möglich ist, Bewegungen, die sich gegen den Abbau demokratischer und sozialer Rechte engagieren, sowie gegen
fortschreitende Militarisierung und Umweltzerstörung, aus der ganzen Welt zu vereinen. Warum sollte uns dies für Deutschland nicht gelingen?
Kenneth Kaunda, der Sambia einst in die Unabhängigkeit führte und sich heute für die Beseitigung der Probleme der Dritten Welt und gegen AIDS engagiert, brachte es beim
Weltsozialforum auf den Punkt: „Die Erfahrung aus unserem Kampf ist, dass wir mit anderen zusammenarbeiten müssen.“
Kay Hanisch
Julija Timoschenko
Wie man in der Ukraine versuchte nach der Revolution 2004
einen eigenen Weg zu gehen und die warum dieser Versuch scheiterte
14.2.2007. Im Herbst 2004 fegte in der Ukraine eine friedliche Bürgerrevolution unter orangefarbigen Bannern das korrumpierte Regime des ehemaligen Industriemagnaten Leonid
Kutschma hinfort, der die Pfründe seines Clans zum Schluß noch mittels Wahlbetruges sichern wollte.
Viele Demokraten, auch aus Deutschland, schauten mit Euphorie und auch mit ein bisschen Neid auf die Vorgänge in der Ukraine, denn auch unserem Land hätte eine derartige Frischzellenkur gut
getan. Heute, über zwei Jahre nach der „Revolution“, ist das orangefarbige Lager gespalten, die Partei „Unsere Ukraine“ (NU) des neuen Präsidenten Viktor Juschtschenko regiert gemeinsam
mit Kutschmas Spezi, dem damaligen Wahlfälscher Viktor Janukowitsch (Partei der Regionen). Julija Timoschenko, einst gefeierte Ikone der „Orangen Revolution“ hat mit ihrer Partei
inzwischen auf den Oppositionsbänken platzgenommen. Doch gerade die frühere Premierministerin (Januar-September 2005) ist es, die noch für die Ideale von 2004 einsteht, während ihr
Bündnispartner, der Präsident Juschtschenko, der die Ukraine nach Westen führen will, sich mittlerweile auf die gleichen Machtstrukturen wie einst Kutschma stützt.
Juschtschenko steht für einen liberal-kapitalistischen Staat nach us-amerikanischem Vorbild, während „Julija“, wie sie von ihren Anhängern bloß genannt wird, einen eigenen, ukrainischen Weg in
Sachen Demokratie und Wirtschaft verfolgt.
Die heute 46-jährige, studierte Ökonomin wandelte sich von einer Oligarchin zu einer wahren Gerechtigkeitsfanatikerin. Nach dem Zerfall der Sowjetunion gelang es Frau Timoschenko in den wilden
90iger Jahren u.a. dank der Protektion des Schwiegervaters, eines einflussreichen KP-Funktionärs, mit ihrer Öl- und Erdgas-Firma „Vereinigte Energiesysteme der Ukraine“ (EESU) ein Vermögen von
ca. 11 Mrd. US-Dollar zu scheffeln und so zur reichsten Frau des Landes aufzusteigen.
Diese neue Oberschicht der neureichen Oligarchen, die es auch in Russland gab, unterstützte zur Präsidentenwahl den parteilosen Leonid Kutschma, Direktor eines Rüstungskonzerns und selbst ein
windiger Geschäftsmann. Seine Bauernschläue wurde in den folgenden 10 Jahren seiner Herrschaft legendär, er baute ein System von Pfründen, Clanwirtschaft, persönlichen Beziehungen usw. auf. Es
war damals für Oligarchen und Wirtschaftsbosse üblich, sich als Abgeordnete in die Große Rada (ukrain. Parlament) wählen zu lassen, um für den Fall der Fälle Immunität vor Strafverfolgung zu
erlangen, denn man konnte nie wissen, wann einen der Bannstrahl des Autokraten Kutschma traf. Auch Julija Timoschenko bewarb sich daher in einem Wahlkreis um ein Direktmandat. Mit ihrem Geld
sorgte sie im Wahlkreis dafür, dass es weniger Stromausfälle gab und dass die Heizungen im Winter nicht wie bisher oft kalt blieben. Die Dankbarkeit, die ihr das einfache Volk auf dem Land für
diese Unterstützung entgegenbrachte, war es wohl dann auch, welche die völlige Wandlung Timoschenkos einleiteten, von der schwerreichen „Gasprinzessin“ hin zur Revolutionärin. In ihrem Wahlkreis
erhielt sie als Unabhängige auf Anhieb über 90% der Stimmen und schloß sich im Parlament der Partei „Gromada“ („Gemeinde“) des Professors und Baptistenpastors Oleksander Turtschinow an. Dieser
überließ der wesentlich gewandteren Julija bald darauf das Feld, ist aber bis heute einer ihrer engsten Vertrauten. Auch schien Turtschinow z.T. dazu beigetragen zu haben, dass sich die
Gasprinzessin Timoschenko zu einer Politikerin mit Verantwortungsgefühl mauserte. Als Kutschma 1996 aus taktischen Gründen eine „Reformregierung“ mit dem heutigen Präsidenten Juschtschenko als
Premier berief, wurde Julija Timoschenko stellvertretende Regierungschefin und Energieministerin. Sehr bald kam sie in Konflikt mit den Oligarchen aus Kutschmas Umgebung, denn unter denen räumte
sie gnadenlos auf. Steuerhinterziehung und die Privatisierung von Staatseigentum zu Schleuderpreisen bekämpfte sie rabiat und widersetzte sich allen Bestechungsversuchen. In der Umgebung des
Präsidenten war man geschockt, welches Kuckucksei man sich da ins Nest gelegt hatte. Schließlich hatte sie sich früher der gleichen dubiosen Methoden wie alle anderen ukrainischen
Wirtschaftsbosse bedient! Nach wenigen Monaten wurde Julija Timoschenko auf Druck des Präsidenten entlassen und unter fadenscheinigen Vorwürfen inhaftiert, ihr Konzern EESU zum Teil
zerschlagen.
Ihrer wachsenden Popularität beim Volk begegnete Kutschma mit eine Kampagne, in der er ihre Vergangenheit als Oligarchin herausstellte und sie somit als „Raubritterin“ brandmarkte.
Dieses von ihm vermittelte Bild Timoschenkos ließ viele Ukrainer auf Distanz zu ihr gehen und prägt oft auch heute noch in Europa das Image Julijas. Doch die Inhaftierung machte Julija
Timoschenko endgültig zu einer Märtyrerin für die Gegner des Kutschma-Regimes.
Nach ihrer Entlassung gründete sie gemeinsam mit Prof. Turtschinow die „Vaterlandspartei“, die sich mit drei weiteren Parteien zum Wahlbündnis „Block Julija Timoschenko“ (BJUT) zusammenschloß.
Zwar sah sie im heutigen Präsidenten Viktor Juschtschenko und seiner Partei immer ihre „natürlichen“ Verbündeten, doch deren extrem prowestlicher Ausrichtung begegnete sie mit Skepsis.
Als sie nach der Orangenen Revolution Anfang 2005 Premierministerin wurde, handelte man sie noch westlich orientierte Liberale, da ihr Wahlbündnis Kontakte zur deutschen FDP-Bundestagsfraktion
hatte. Während ihrer kurzen Amtszeit galt sie dann als „Sozialdemokratin“, als sie entlassen wurde, verglich man sie dann sogar mit dem argentinischen Ex-Präsidenten und Sozialpopulisten Juan
Peron.
„Die traditionellen Weltideologien haben sich überlebt,“ sagt Julija Timoschenko. „In den so genannten zivilisierten Ländern hat sich der Mensch anscheinend ein sehr komfortables Leben
geschaffen, in dem alles bis zur letzten Kleinigkeit geregelt ist. Warum aber gibt es dann dort so viele Psychotherapeuten und Psychiater? Offenbar steht es mit der seelischen Welt des Menschen
nicht zum Besten. Er spürt ein gewisses Unbehagen. Ein grundsätzlich neues Gesellschaftsmodell scheint mir dringend notwendig.“
In ihrer nur achtmonatigen Regierungszeit arbeitet Julija Timoschenko oft Tag und Nacht. In ihrem Büro hat sie ein Feldbett aufgeschlagen. Sie lässt mobile Kommandos aufstellen um
den Schmuggel und das organisierte Verbrechen zu bekämpfen. In dieser Zeit werden auch 19.262 Fälle von Wirtschaftsvergehen aufgedeckt. Julija fühlt sich ihren Wahlversprechen verpflichtet: die
Gehälter der Staatsbediensteten und die Renten werden erhöht, um die Kaufkraft zu stärken, die Mindestrente wird auf das Existenzminimum angehoben, Zahlungen für junge Mütter erhöhen sich um das
12-fache.
Die neue Premierministerin glaubt an den starken Nationalstaat, der in der Lage ist, mit seinem Eigentum effizient umzugehen. Der Staat müsse auf dem Markt zum voll handlungsfähigen Akteur
werden, der Geld für den Haushalt verdient, mit Privatkapital konkurriert und auf die Preise Einfluß nimmt.
Der Staat müsse sich zwischen Geschäftswelt und Gesellschaft stellen, um die Bevölkerung vor den Attacken des Kapitals zu schützen, fordert Julija Timoschenko. Um das Big Business müsse
sich der Staat nicht sorgen, dass habe so scharfe Zähne, dass es seine Interessen auch alleine durchsetze, weiß sie, wohl auch aus eigener Erfahrung. In dieser Frage erweist sich die frühere
ukrainische Regierungschefin der deutschen Regierungschefin als überlegen. Hierzulande hat Frau Merkel noch nicht erkannt, dass ihre Politik nicht der Bevölkerung, sondern nur einer kleinen
Oberschicht und einem Heer verbeamteter Parteisoldaten zu Gute kommt. Für sie ist, im Gegensatz zu Julija Timoschenko, die Gerechtigkeit kein politisches Stichwort.
Die Sozialprogramme der Regierung Timoschenko sollten u.a. durch eine Reprivatisierung der ehemaligen Staatsbetriebe finanziert werden. In den 1990iger Jahren hatten sich
zahlreiche „Geschäftsmänner“, die einen guten Draht zu Kutschma & Co. hatten, große Staatsbetriebe für ein Taschengeld unter dem Nagel gerissen. Diese Betriebe sollten wieder unter staatliche
Hoheit gestellt werden, marktgerecht bewertet und zum fairen Preis neu verkauft werden, wobei es den Vorbesitzern möglich war, ihren Betrieb wieder zurückzukaufen – nur eben zum Marktpreis. Über
3.000 Betriebe waren davon betroffen. Die Oligarchen schrieen vor Wut und Schmerz, wandten sich an Jutschenko um Beistand. Der zaudernde Präsident erklärte schließlich, er befürworte die
Neubewertung von 30 Unternehmen – eine rein symbolische Zahl. Für Julija Timoschenk völlig inakzeptabel: „Ich bin dagegen, dass man einzelne Unternehmer herausgreift und zur Ader lässt. Es kann
nicht in einem geschlossenen Zirkel darüber entschieden werden, dass z.B. der Unternehmer A zur Kasse gebeten wird, während wir uns mit dem Unternehmer B gütlich einigen.“
Man stelle sich diese Politik in Deutschland vor: die Kanzlerin führt die durch die Treuhand-Mafia verkauften Betriebe in Staatsbesitz zurück. Zumindest die, die noch in irgend einer Form
existieren, bewertet sie neu und verkauft sie zum realen Preis. Für die Betriebe, die bereits eingeebnet wurden oder als Ruinen verfallen, müsste ebenfalls anhand von Unterlagen der frühere und
der jetzige Wert ermittelt und die Täter zur Verantwortung gezogen werden – schließlich handelte es sich um Volkseigentum der DDR! Man wird sich noch an das Gebaren nach der Wende erinnern:
Betriebe mit vollen Auftragsbüchern wurden für 1 D-Mark verscherbelt, die Angestellten entlassen, die Maschinen herausgeschleppt und verkauft, die Gebäude verfielen – und das im Auftrag der
westdeutschen Industrie, die durch ihre politischen Lobbyisten so viel Konkurrenz wie möglich ausgeschaltet wissen wollte.
Tatsächlich, unter den heutigen Verhältnissen in Deutschland ist ein derart radikales Streben nach Gerechtigkeit und Wahrheit zum Scheitern verurteilt. Und auch Julija Timoschenko
in der Ukraine sollte bald das Handwerk gelegt werden. Äußerer Auslöser dazu war die sogenannte ukrainische „Ölkrise“:
Jedes Jahr vor der Ernte in der Ukraine erhöhten die Ölmagnaten des Kremls die Benzin- und Ölpreise willkürlich. Da man keine Missernte einfahren wollte, akzeptierte die ukrainische Regierung
bisher immer die Preiserhöhungen. Doch diesmal wollte die kampflustige Premierministerin diesen Machenschaften einen Riegel vorschieben. Ihre Regierung legte eine Obergrenze für die Preise fest,
bei deren Überschreiten den Unternehmen Sanktionen drohten. Daraufhin drosselten die russischen Ölmagnaten ihre Produktion, um Druck auf die Ukraine auszuüben.
Doch Julija Timoschenko ließ sich nicht erpressen. Sie gab die Gründung einer eigenen ukrainischen Ölraffinerie und den Ausbau eines staatlichen Tankstellennetzes bekannt, um die Abhängigkeit von
Russland zu verringern. Gleichzeitig senkte sie die Steuern für Erdölprodukte und ließ die Importzölle darauf aufheben. Die Ukraine plante Erdöl in der ganzen Welt zusammenzukaufen. Die Aktion
war gerade angelaufen, da wurde die Premierministerin von Präsident Viktor Juschtschenko entlassen, er warf ihr gar vor, „nicht marktgerecht“ reagiert zu haben. Der Präsident hatte sich
inzwischen mit den russischen Ölhändlern getroffen und war eingeknickt, gleichzeitig wollte er wohl auch das Verhältnis zu Putin nicht weiter belasten. Julija Timoschenko wirft ihrem früheren
Partner seitdem „Verrat an den Idealen der Orangenen Revolution“ vor und hat sich in die Opposition zurückgezogen. Bei den wenige Monate später stattfindenden Parlamentswahlen ließ ihr Wahlblock
die Präsidentenpartei weit hinter sich und wurde zweitstärkste Fraktion.
Der ukrainische Präsident Juschtschenko galt schon immer als unentschlossen, er will es sich mit niemandem verderben. Deshalb opferte er seine Premierministerin, denn es war klar dass sowohl der
Westen als auch Russland Druck auf den Präsidenten ausgeübt hatten, um die streitbare Frau Timoschenko loszuwerden. Putin wollte keine selbstbewusste Ukraine an seiner Grenze, das Großkapital
wollte keine Regierung, die seine Aktivitäten behindert und der Westen wollte bitteschön eine zu 100% prowestliche Regierung.
Das vorrevolutionäre Herrschaftssystem in der Ukraine war durchaus mit der heutigen Situation in Deutschland vergleichbar. Es handelte sich nicht um eine offene Diktatur, sondern vielmehr
um ein System der geistigen und materiellen Korrumpierung. Leonid Kutschma herrschte in der Ukraine mit einem Kartell aus ihm verbundenen Geschäftsleuten und Oligarchen, diese hatten oftmals ihre
eigenen Parteien, die den Präsidenten in wechselnden Koalitionen und Bündnissen unterstützten und die Medien beherrschten. Zwar gibt es heute in Deutschland keine über dem System stehende Figur
a´la Kutschma, aber das geflochtene Netzwerk zum Machterhalt der Systemprofiteure ist das gleiche. Im Gegenteil, durch das Fehlen einer dominanten Figur wie Kutschma fehlt dem BRD-System eine
Person, auf die sich die Unzufriedenheit der Bürger fokussiert. Der Zorn der Bevölkerung verteilt sich auf mehrere Politiker und Parteien, dass System ist dadurch weitaus flexibler als das in der
Ukraine.
Die Revolution in der Ukraine war notwendig, aber sie ist leider in den Anfängen stecken geblieben. Eine friedliche „Bürgerrevolution“ könnte auch in Deutschland vieles
verändern. Die Zeit wäre reif. Doch wer sollten in Deutschland die „orangefarbenen“ Hoffnungsträger sein? Noch sind keine relevanten Kräfte in Sicht. Aber die Bildung einer neuen, aufrichtigen
Demokratie-Bewegung ist dringend notwendig.
Kay Hanisch
Chinesische Afrikapolitik
Wie das unheilvolle Engagement Chinas drei afrikanische Bürgerkriege zur Eskalation bringt.
China ist eine gewaltige aufstrebende Volkswirtschaft. Entsprechend groß ist auch sein Hunger an Rohstoffen wie Erdöl, Coltanerz, Kupfer etc. Das wegen seiner Brutalität weitgehend
geächtete islamistische Militärregime des sudanesischen Diktators Omar al-Bashir ist da ein wichtiger Verbündeter für das Reich der Mitte, da der Sudan über das heißbegehrte Erdöl verfügt.
Nachdem die sudanesische Regierung über 20 Jahre einen Bürgerkrieg gegen den schwarzafrikanischen Bevölkerungsteil im Süden des Landes geführt hatte, steht nun in der westlichen Sudanprovinz
Darfur ethnischer Terror regierungstreuer Reitermilizen auf der Tagesordnung. Dort rebellieren neben den Völkern der Fur und der Masalit auch die Zaghawa, ein Volk, dass auch im Tschad lebt und
dem der tschadische Präsident Idriss Déby angehört. Der seit 1990 regierende Déby, von seinen französischen Gönnern gern als „Wüstencowboy“ bezeichnet, gilt als gewiefter Stratege, hielt sich
auch im Dafurkonflikt mit zu heftiger Parteinahme für die sudanesischen Zaghawa zurück und bemühte sich um Vermittlung. Doch der Druck vieler hoher Zaghawa-Militärs die von Déby forderten, ihren
„Brüdern“ im Sudan beizustehen, wuchs. Damit sich der Präsident des Tschad dennoch nicht einfallen lassen sollte, die Rebellen in Darfur zu unterstützen, ersann Omar al-Bashir einen Plan: er
unterstützte mehrere Rebellengruppen (u.a. die „Vereinigte Front für den Wechsel“ – FUC), um so Druck auf die tschadische Regierung auszuüben. Doch damit erreichte er genau das Gegenteil! Idriss
Déby rüstete nun seinerseits offen die Rebellen in Darfur auf. Ein Teufelskreis! Aus der Krisenprovinz waren inzwischen über 200.000 Flüchtlinge in den Tschad gekommen und campierten dort in
Lagern.
Weitere 200.000 Menschen sind in Darfur durch die regierungstreuen Djanjawid- Milizen umgekommen, über 2 Mio. wurden vertrieben. Eine Verurteilung des sudanesischen Regimes im Weltsicherheitsrat
hat bisher die chinesische Schutzmacht verhindert. Sie unterstützt die Regierung in Khartum mit Geld und Waffen und politisch in der UNO, im Gegenzug erhält sie „ihr“ Erdöl. Dafür nimmt China
billigend in Kauf, dass der sudanesische Bürgerkrieg auch in den Tschad exportiert wurde. Im Gegenteil, China profitierte noch davon, denn Idriss Déby war einer der wichtigsten Verbündeten von
Taiwan, für dessen Aufnahme in internationale Organisationen er oft geworben hatte. Vor nicht allzu langer Zeit hatte sich Taiwan in die tschadische Ölindustrie eingekauft.
Im Sommer 2006 änderte Déby seine Taktik. Er erkannte die Volksrepublik als einziges China an und brach die Beziehungen zu Taiwan ab. Unter libyscher Vermittlung kam es sogar zu einem Treffen der
Präsidenten des Sudan und des Tschad, auf dem sie erklärten keine Rebellen in den jeweils anderen Staaten zu unterstützen. Bei der Erklärung ist es geblieben, denn beide Seiten machen munter
weiter mit der gegenseitigen Destabilisierung. Der Tschad hat diesen Konflikt allerdings nicht angefangen. Auch die verbesserten Beziehungen zu China brachten dem Land nichts.
Inzwischen ist auch die mit dem Tschad verbündete Zentralafrikanische Republik (ZAR) als dritter Staat in den Konflikt hineingezogen worden. Dort kämpfen meuternde Soldaten und Rebellen mit
sudanesischer Unterstützung gegen die Regierung des Präsidenten Francois Bozize. Der ist zwar inzwischen demokratisch gewählt, kam aber 2003 mit Débys Hilfe durch einen Militärputsch an die
Macht. Auch nutzen die regierungstreuen Djanjawid-Milizen aus dem Sudan und die tschadischen Rebellen die Schwäche der ZAR-Armee aus und überschreiten häufig die Grenze zur Zentralafrikanischen
Republik.
Was hat das Ganze nun mit China zu tun? Die Volksrepublik gibt dem Regime Sudans wie gesagt, politischen Geleitschutz in UNO und Weltsicherheitsrat. Dadurch waren Sanktionen gegen das Regime
bisher nicht möglich. Der Sudan agiert als „subversiver“ Staat unter Chinas Protektion und destabilisiert die Nachbarländer.
Weder der Tschad noch die ZAR gelten als Musterbeispiele von Demokratie. Es gibt aber in beiden Staaten Mehrparteiensysteme, unabhängige Zeitungen und eine Zivilgesellschaft. Im Fall des Tschad
kann das Regime Déby jedoch wohl als das moderateste bezeichnet werden, dass dieses von Bürgerkrieg und Diktatur geschundene Land seit der Unabhängigkeit erlebt hat. Die Rebellen eint heute nur
der schnelle Wunsch nach der Beendigung der Herrschaft Débys und seiner Patriotischen Heilsbewegung (MPS). Doch die politisch und ethnisch zerstrittenen Rebellenallianzen werden sich nach
dem Sturz des Wüstencowboys sehr bald gegenseitig an die Kehle springen. Der Tschad droht sich dann in ein zweites Somalia zu verwandeln. Dort gibt es keine Zentralgewalt, es herrschen
rivalisierende Kriegsfürsten und Milizen. Diese Gefahr hat auch Frankreich erkannt.
Mittlerweile greifen in Tschad und ZAR stationierte französische Truppen auf Seiten der regulären Regierungen offen in die Kämpfe ein. Natürlich sind dahinter ebenfalls hegemoniale Absichten
verborgen, denn die beiden Regierungen gelten als Verbündete der Franzosen.
Ein Machtvakuum nach dem Regierungssturz würden der Sudan bzw. die von ihm unterstützten Djanjawid-Milizen nutzen, um tiefer in den Tschad vorzustoßen und um die dorthin geflohenen
Bürgerkriegsopfer aus Darfur zu töten. Schon jetzt operieren diese Milizen z.T. im Tschad, doch noch stellen sich ihnen Regierungstruppen und französische Kräfte in den Weg.
Nicht nur der jahrzehntelange ethnische Terror gegenüber der eigenen Bevölkerung ist es, für den man das Regime Omar al-Bashirs verantwortlich machen kann, sondern ebenso gefährlich ist die
destabilisierende Politik dieses Landes nach außen. So wurde auch jahrelang die in Uganda kämpfende „Widerstandsarmee des Herren“ (LRA), eine fanatisch-christlich-animistische Bewegung, die sich
zwangsrekrutierter Kindersoldaten bediente, unterstützt.
Die Volksrepublik nimmt den von Darfur ausgehenden Völkermord also billigend in Kauf, solange der Sudan Pekings Afrikapolitik unterstützt.
Eine direkte Verantwortung kann man China nur bedingt zuweisen. Allerdings ist es mit der Auswahl seiner Verbündeten noch weniger wählerisch als man das von den westlichen Staaten ohnehin schon
kennt. China legt auch keinen Wert auf eine gewisse formale Einhaltung von Menschenrechten, weshalb es bei vielen autoritären Herrschern in Afrika äußerst willkommen ist. Die Chinesen pflegen zu
sagen, dass sie sich nicht in „die inneren Angelegenheiten anderer Staaten“ einmischen. Die Realität sieht aber anders aus. Wer den Tschad regiert, hat auch das Sagen über die Erdölquellen von
Doba. Das dort derzeit US-Amerikanische, malaysische und taiwanesische Konzerne und Geschäftsleute die Nase vorn haben, ärgert Peking natürlich. Ein Regimewechsel käme der chinesischen Politik
gelegen und der Sudan ist ein williger Brückenkopf. Derzeit erfahren der Tschad und die ZAR, was China unter einer „Nichteinmischung“ versteht: nämlich das Gleiche wie die USA und andere
Großmächte – solange die Entwicklungsländer ihre Rohstoffe günstig und willig feilbieten und sich der Politik dieser Mächte unterordnen ist alles in Butter. Aber wehe, man fügt sich den Wünschen
der internatonalen Hochfinanz und den Großmächten nicht, dann ist es vorbei mit der „Nichteinmischung“.
Es wird Zeit für eine Politik der Aufrichtigkeit zwischen den mächtigen Nationen von West und Ost und den armen Staaten des Südens. Die klassische Hegemonialpolitik mit Marionettenregierungen,
Stellvertreterkriegen, Interventionen und wirtschaftlicher Erpressung kann sich im 21. Jahrhundert nicht mehr fortsetzen! Gegenseitiger Respekt und Toleranz sind die Voraussetzung dafür, dass
Konflikte in Zukunft eher am Verhandlungstisch als mit der Waffe gelöst werden.
In Simbabwe ist China zu einer wichtigen Stütze des alterstarrsinnigen und immer repressiveren Diktators Robert Mugabe geworden. Noch sind die Chinesen gefragt in den meisten Ländern
Afrikas. Ob dies von Dauer ist wird sich zeigen, denn auch die chinesische Afrikapolitik ist eine quasikoloniale.
Derzeit gewährt China vielen afrikanischen Staaten Kredite. Auf diese Weise laufen aber die Entschuldungsinitiativen der Weltbank und der westlichen Länder ins Leere. Die afrikanischen
Nationen kommen wieder nicht aus der Schuldenfalle heraus, ihr weniges selbst erwirtschaftetes Geld geben sie wieder nur zur Schuldentilgung statt zur eigenen Entwicklung aus. Sie sind genauso
wie zuvor von Kreditgebern abhängig, nur jetzt nicht mehr von westlichen, sondern von östlichen.
Bereits heute führen die massenhaften chinesischen Billigimporte dazu, dass in einigen afrikanischen Staaten adäquate Produkte nicht mehr produziert werden – ein gewaltiges Hemmnis in Sachen
Entwicklung!
In Sambia, wo Afrikaner für Hungerlöhne unter miesen Sicherheitsvorkehrungen in den chinesischen Minen schuften müssen, belegte im letzten Jahr Michael Sata, der Kandidat der
Patriotischen Front (PF) bei den Präsidentschaftswahlen mit 29,37% den zweiten Platz. Es war vor allem die Wut auf die Chinesen, die den Außenseiter und seine einstige Splitterpartei
hatten so groß werden lassen.
Sata hatte angekündigt, im Falle seines Sieges die Chinesen aus dem Land zu werfen und Taiwan anzuerkennen.
Kay Hanisch
Der Westen versucht in Russland politisch Einfluß zu nehmen. Deshalb schikaniert Putin die Opposition. Doch genau darauf setzt der Westen.
Eine Betrachtung, die viel umfangreicher sein müsste, und bei der man erstaunliche Parallelen zu Deutschland findet.
4.4.2007. Die Medien in unserem Land haben es verkündet: die russischen Regionalwahlen Mitte März waren alles andere als demokratisch, sondern unfair und bereits im Vorfeld
manipuliert. Seitdem Präsident Wladimir Putin 1999 die Macht übernahm, hat er alles getan, um eine demokratische Opposition in Russland auszuschalten. Er ließ mehrere Parteien in seiner
Kreml-Partei „Vereinigtes Russland“ zusammenführen, er erhöhte die 5%-Hürde auf 7% und verfügte, eine Partei müsse mindestens 50.000 Mitglieder haben, um zugelassen zu werden, was kleine
Parteien vom politischen Leben nahezu komplett ausschließt. Die sozialdemokratische „Republikanische Partei“, die älteste Oppositionspartei Russlands, wurde deshalb vom Kreml kürzlich
verboten, obwohl sie offiziell 58.000 Mitglieder besitzt.
Nun konnten zu dieser Wahl auch keine Unabhängigen mehr antreten, nur noch Parteilisten. Die Mindestwahlbeteiligung wurde genauso abgeschafft, wie das Recht „Gegen alle“ Kandidaten und Parteien
zu stimmen. Es gab angeblich massive Fälschungen in den Wahllokalen und 19 Parteien wurden zur Wahl gar nicht erst zugelassen.
In der Woche vor der Wahl formierte sich in St. Petersburg gegen die Wahlfarce zaghafter Widerstand. Mehrere tausend Oppositionelle gingen auf die Straße, um gegen das „System Putin“ zu
demonstrieren. Es waren nicht nur ausschließlich die politischen Lieblinge und „Marionetten“ des Westens, die da auf die Straße gingen, wie es vom Kreml gern dargestellt wird. Zwar demonstrierten
neben dem früheren Schachweltmeister Garri Kasparow und seiner Vereinigten Staatsbürgerlichen Front auch die Anhänger des im Westen beliebten und von Putin geschassten Ex-Premiers Michail
Kassjanow und dessen Volksdemokratischer Union. Doch auch die Truppen von der radikalen National-Bolschewistischen Partei des Schriftstellers Eduard Limonow, dessen junge
Mitgliederschar in St. Petersburg durch Hausbetzungen auffiel, nahmen an der Aktion ebenso teil wie die sozial-liberale, oligarchen-kritische Partei „Jabloko“. Letztere wurde 1993 von dem
Ökonomen Grigori Jawlinski gegründet und gilt als eine der ältesten und seriösesten Oppositionsparteien. Schon in der Ära Jelzin hatte sich Jabloko als Anti-Korruptionspartei profiliert.
Dies wurde ihr in St. Petersburg zum Verhängnis. Da die 3 Stadträte der Partei anprangerten, dass ausgerechnet der Sohn der putin-treuen Bürgermeisterin als Großinvestor für ein neues
Hochhausprojekt von der Stadt auserkoren wurde, strich man die Partei in St. Petersburg von der Wahlliste. Auf der Demonstration erklärte Garri Kasparow, dass Putin mit der Aushöhlung
demokratischer Rechte „einen schleichenden Staatsstreich“ durchführe. Kurz darauf knüppelten Polizisten und OMON-Sturmtruppen die Veranstaltung brutal nieder, es gab Verletzte und 113 Personen
wurden festgenommen.
Putin hat es geschafft, nach seiner Machtübernahme 1999, Russland wieder in ein stabiles Fahrwasser zu bringen. Auch wenn die Korruption mittlerweile wieder zunimmt, hat er den Einfluß mächtiger
Oligarchen und Mafiabosse zurückgedrängt. Auf den ersten Blick – denn jene Oligarchen, die ihm treu zu Diensten waren, durften ihre Pfründe behalten, während jene wie Michail Chodorkowski, der
sich selbst als Präsidentschaftskandidat ins Gespräch brachte, im Gefängnis landeten. Es gelang Putin, durch die Entmachtung regionaler Machthaber und Gouverneure (die nicht mehr direkt gewählt,
sondern nun vom Präsidenten ernannt werden) das föderale Russland zu einem eher zentralistischen Staat zu machen. Mit Hilfe des staatlichen Energiekonzerns Gazprom schaffte es Putin, die
wichtigen Rohstoffe wieder unter die Kontrolle des Staates zu bekommen. Nach wie vor ist der Präsident bei den meisten Russen ungemein populär, er hätte es kaum nötig, mit der schwachen
Opposition derart rabiat umzuspringen und mit Kanonen auf Spatzen zu schießen.
Doch hinter der Repression steckt die Angst, Russland könnte einer vom Westen finanzierten Revolution anheim fallen, so wie die „Nelkenrevolution“ 2003 in Georgien oder die „Tulpenrevolution“
zwei Jahre später in Kirgisien. Auch bei der „Orangenen Revolution“ in der Ukraine half der Westen dezent mit, allerdings existierten dort bereits starke demokratische Parteien und profilierte
Oppositionspolitiker, so dass die Hilfe des Westens kaum eine Rolle gespielt hätte.
Ganz anders sieht es in Georgien aus: der mit westlicher Hilfe an die Macht gekommene Michail Saakaschwili gebärdet sich heute autoritärer als sein pro-russischer Vorgänger Eduard Schewardnadse,
unter dem aber dafür die Korruption enorme Ausmaße angenommen hatte und in mehreren Regionen des Landes Warlords regierten. Weitaus tragischer war der Sturz von Askar Akajew in Kirgisien. Der
galt nicht nur als der gemäßigteste unter allen postsowjetischen Autokraten, sondern sein Abgang führte zur Spaltung des Landes. Während der Südteil Kirgisiens mit dem Norden rivalisiert, ist die
neue Regierung kaum „demokratischer“ als die Akajews. Bei all diesen Revolutionen spielte der us-amerikanische Finanzjongleur George Soros eine wichtige Rolle, über seine Stiftung lieferten die
USA diskret Unterstützung für die Opposition, bezahlten ihr in Kirgisien z.B. die Druckerpressen.
Derartige Zustände fürchtet nun auch der Putin-Staat, weshalb Russland vor nicht allzu langer Zeit die Arbeitsmöglichkeiten für ausländische Nichtregierungsorganisationen (NGO´s) einschränken
ließ. Denn der Westen - und hier sind die USA besonders herauszustreichen – hat es auf die Rohstoffe der größten Nation der Welt abgesehen und verlangt nach Zugriff.
Der frühere Besitzer des Ölkonzerns Yukos, Michail Chodorkowski, hatte vor seiner Verhaftung bereits mit US-Ölkonzernen, die sich bei Yukos einkaufen wollten, Verbindung aufgenommen. Er sollte
für die US-Konzerne als „Türöffner“ fungieren.
Um oppositionelle Regungen klein zu halten, erhöht der Kreml seine Repressionen gegenüber den Oppositionsparteien. Doch gerade diese Behandlung schafft Solidarität zwischen Unzufriedenen und
Benachteiligten im System Putin und den kleinen Oppositionsparteien.
Schreitet dieser Zustand fort, wird die Opposition in jedem Fall gestärkt.
Würde die derzeit chancenlose Opposition (plus Kommunistische Partei) – mit oder ohne Zureden des Westens – die Wahlen boykottieren, so würde wohl nur noch die zwei Kreml-Parteien „Einiges
Russland“ und „Gerechtes Russland“ sowie die rechtsradikale LDPR des Politrabauken Wladimir Schirinowsky, die auch zum Putin-Lager zählt, im Parlament vertreten sein.
Nach der sandinistischen Revolution 1979 in Nicaragua bedrängten die USA die bürgerliche Opposition, die Wahlen 1984 zu boykottieren. Dadurch fand sich nur die linke FSLN im Parlament wieder. Ein
gefundenes Fressen für Washington , denn nun konnten die USA dies propagandistisch ausschlachten und gegen das vermeintliche „kommunistische Ein-Parteien-Regime“ Sanktionen verhängen. Die gleiche
Strategie versuchten die USA im „bolivarischen“ Venezuela umzusetzen. Die Opposition wurde 2005 zum Wahlboykott aufgestachelt, doch die Regierung Chavez wurde nicht von einer Partei, sondern von
einem ganzen Konglomerat linker Parteien unterstützt, so dass nach wie vor mehrere Parteien im Parlament sitzen und der Propagandacoup der USA misslang.
Putin will diesem Problem zumindest teilweise entgegenwirken, in dem er jetzt eine weitere Retortenpartei klonen ließ, die sich „Gerechtes Russland“ nennt, als Scheinopposition fungiert
und als zweites Standbein des Kremls dienen soll. Auch wurde die rechtsnationale „Liberaldemokratische Partei Russlands“ des Demagogen Wladimir Schirinowsky in die Regierung eingebunden.
Sowohl die Kommunistische Partei, als stärkste Oppositionskraft, sowie die „Union Rechter Kräfte“ (SPS) , die als Partei der neoliberalen „Turbo-Reformer“ aus der Jelzin-Ära gelten kann, scheinen
sich mit Putin arrangiert zu haben. In den Medien wurde diesen Gruppierungen vor der kürzlich erfolgten Regionalwahl weitaus mehr Präsenz eingeräumt als putin-kritischen Parteien.
Auf den ersten Blick ist Putins „gelenkte Demokratie“, nichts weiter als eine Autokratie de Luxe. Wenn dies so ist, dann sollten wir Deutschen uns langsam Sorgen machen. Nicht nur um die
russischen Demokraten, auch um unsere Demokratie. Denn beim genaueren Hinsehen findet man viele Parallelen zwischen unserem „Rechtsstaat“ und dem „Putin-Staat“.
Auch bei uns prügelt die Polizei Demonstranten und verhaftet sie.
Auch bei uns werden Parteien nicht zur Wahl zugelassen von den Parteien im Bundestag, denn ihre Vertreter bestimmen im Bundeswahlausschuss, wer zur Wahl antreten darf und wer
nicht.
Auch bei uns darf die Opposition wie in Russland dagegen Einspruch erheben. Auch bei uns wie in Russland sind diese Einsprüche wirkungslos wie die Wahlanfechtung der Liberalen Demokraten (LD)
wegen ihrer Nichtzulassung zur Bundestagswahl 2002 gezeigt hat.
Auch bei uns wird die demokratische Opposition von den Medien totgeschwiegen oder diskriminiert.
Auch bei uns werden die Hürden erhöht, um neuen und kleinen Parteien den Einzug in die Parlamente zu erschweren, wie z.B. die Erhöhung der Anzahl an Unterstützungsunterschriften für die
sächsischen Kommunalwahlen 2004 beweist.
Wird also unsere Demokratie auch immer „gelenkter“? Oder ist sie es bereits? Sollten wir bei aller berechtigten Kritik am Demokratieabbau in Russland nicht zunächst vor unserer eigenen
Tür kehren? Wie soll sich die demokratische Opposition in Deutschland dazu verhalten?
Wir müssen unsere eigenen Demokratiedefizite in Deutschland selbst überwinden, genauso wie es die Russen selbst und auf ihren Kulturkreis zugeschnitten tun müssen. Dies bedeutet einerseits
Achtung des Völkerrechts und der Souveränität Russlands, andererseits Solidarität mit seriösen, nicht korrumpierten demokratischen Oppositionsgruppen wie Jabloko oder der
Republikanischen Partei.
Kay Hanisch
Hier kommt Sarko!
Der neue Präsident Frankreichs hält auch für Deutschland einige Überraschungen parat. Angela Merkel hat jetzt ihren Wunschpartner für die wirtschaftsliberale
EU-Verfassung
20.5.2007. Die Stichwahl um das Präsidentenamt in Frankreich am 6.5.2007 hat der Konservative Nicolas Sarkozy mit 53% der Stimmen gewonnen. Doch wer in Deutschland glaubt, dass
in unserem Nachbarland alles beim alten bleiben wird, nur weil ein Parteifreund des jetzigen Präsidenten Jacques Chirac das Ruder übernommen hat, der täuscht sich gewaltig.
Allein der Wahlkampf selbst war schon beachtenswert.
Denn von einer Chancengleichheit zwischen Sarkozy und Segolene Royal, der fotogenen Kandidatin der Sozialistischen Partei PS (die eigentlich eher eine sozialdemokratische Partei ist) kann nicht
die Rede sein.
Nicolas Sarkozy zählt als ehemaliger Wirtschaftsanwalt die Chefs der führenden Medienunternehmen zu seinen Klienten und Duzfreunden. Seine neoliberale Gesinnung konnte er auch als Minister unter
Präsident Chirac kaum verbergen. Schon von vornherein galt er als Kandidat der Wirtschaft und fand wegen seiner guten Beziehungen zu den Meinungsmachern große Unterstützung durch die
Medien.
Mit Segolene Royal hingegen, die knapp 47% der Stimmen bekam, bestand erstmals die Chance, dass eine Frau den Präsidentenstuhl in Frankreich erobert. Royal, ein politisches Ziehkind von Francois
Mitterand, sorgte mit frischen Ideen für Wirbel und entfachte eine gewisse Aufbruchsstimmung in der ersten Phase des Wahlkampfs, deutsche Medien sprachen von einer „Segomania“. Sie wollte die
Macht des Präsidenten einschränken zugunsten des Parlaments und die Bürger verstärkt an politischen Entscheidungen beteiligen. Zu diesem Zweck tourte sie 2006 durch die Wahlkreise und hielt
„Bürgerfragestunden“ ab, in denen ihr die Wähler erzählen konnten, wo ihnen der Schuh drückte. Die Sarkozy-nahen Medien legten ihr dies sofort als Schwäche aus. Doch die „Partizipative
Demokratie“, wie Royal ihr Modell ihrer ausgedehnten Bürgerversammlungen nannte, sorgte auch dafür, dass ihr Wahlkampf etwas an Fahrt verlor. Auch hatte Segolene Royal nicht die bedingungslose
Unterstützung ihrer Partei. Der rechte Parteiflügel, der sich an Toni Blair und Gerhard Schröder orientierte, moserte herum, sie wäre zu links, dem linken Flügel war sie wiederum zu rechts.
Als sie in den Umfragen sogar kurzzeitig Sarkozy überflügelte, trat plötzlich ein dritter Kandidat ins Rampenlicht, dass heißt er wurde von den Medien künstlich nach oben gejubelt und man traute
ihm sogar zu, anstelle von Royal in die Stichwahl zu kommen: Francois Bayrou, der Vorsitzende der liberalkonservativen Partei UDF. Zur Wahl 2002 erhielt der frühere Bildungsminister nur 6,8%,
doch einige Umfragen großer Medieninstitute sahen ihn diesmal bei z.T. über 20% der Stimmen. Obwohl er wirtschaftspolitisch ein ähnliches Programm wie Sarkozy hatte, bediente er sich einer
rebellischen Rhetorik. Er sprach von der Spaltung in das linke und das rechte Lager, die es zu überwinden galt, machte das ewige Lagerdenken verantwortlich für die vielen ungelösten Probleme
Frankreichs usw.
Dies fand die Zustimmung breiter Bevölkerungsschichten. Als sein politisches Vorbild für die Überwindung der Links-Rechts-Spaltung nannte er aber die Große Koalition in Deutschland, was jeden
deutschen Demokraten nur höhnisch auflachen lassen kann.
Es stimmt einen kritischen Beobachter schon nachdenklich, dass Bayrou ausgerechnet dann von den Medien hofiert wurde und als mögliche Alternative zu Sarkozy ins Gespräch gebracht wurde, als die
sozialistische Kandidatin gute Chancen hatte, den angeblichen Gaullisten Sarkozy zu schlagen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Für Angela Merkel ist Sarkozy der ideale Verbündete, denn er möchte genau wie sie eine EU-Verfassung in Kurzform verabschieden. Auch wird er es zu keinem neuen Referendum darüber kommen lassen –
im Gegensatz zu Segolene Royal, die einen neuen Volksentscheid befürwortet. Für Deutschland bedeutet dies: die Franzosen werden für uns nicht noch einmal die Kartoffeln aus dem Feuer holen und
den Vertrag (EU-Verfassung) ablehnen. Nach dem Willen des neuen Präsidenten soll nur das Parlament über die neue Verfassung abstimmen und dass wird von Sarkozys Partei UMP dominiert.
Hierin ist ein Grund zu sehen, warum ein Konglomerat aus Wirtschaft, Medien und Konservativen unbedingt verhindern wollte, dass die Sozialistin Royal die Wahl gewinnt.
Für den bisherigen Präsidenten Chirac war die deutsch-französische Freundschaft eine der wichtigsten Punkte in der außenpolitischen Agenda Frankreichs. Dies könnte sich unter Sarkozy nun auch
ändern, da er sich als treuen „Atlantiker“ geoutet hat und den USA des George W. Bush näher steht als sein Vorgänger. Deswegen wird der neue Präsident in Frankreich auch „Sarlozy l´ Americain“
genannt. Auch die traditionell pro-arabische und pro-palästinensische Ausrichtung Frankreichs wird wohl aufgeweicht werden, denn Sarkozy, gilt als Freund Israels und des Polit-Bulldozers Ariel
Scharon. Das hinderte ihn freilich nicht daran im Wahlkampf auf die nationalistische Pauke zu hauen und im Wählerspektrum des rechtsextremen Kandidaten Jean-Marie Le Pen vom Front National
(FN) Stimmen zu fangen. Doch der alte Haudegen Le Pen, der mit 10,4% den vierten Platz im ersten Wahlgang belegte, hatte wohl erkannt, dass Sarkozy nicht national, sondern allenfalls
rechts-kapitalistisch ausgerichtet ist. Überraschenderweise rief er deshalb vor der Stichwahl auf, für keinen der beiden Kandidaten zu stimmen.
Während Segolene Royal den Irak-Krieg von US-Präsident Bush sowie dessen Einteilung der Welt in „gut“ und „böse“ kritisierte und sich sogar für einen Boykott der Olympischen Spiele 2008 in China
aussprach, wegen der rücksichtslosen Afrikapolitik der Volksrepublik, die u.a. die Bürgerkriege im Sudan, Tschad und der Zentralafrikanischen Republik anheizt, ist der neue Präsident offenbar
weniger bereit außenpolitisch auf Konfrontation zu setzen. Dafür hat der kleine Franzose, der wegen seines unbändigen Machthungers und seiner geringen Körpergröße schon einmal gelegentlich mit
Napoleon verglichen wird, sein eigenes Land tief gespalten. In den Nächten nach seiner Wahl randalierten und protestierten abermals die Unterprivilegierten und verarmten Migranten aus den
heruntergekommenen Vorstädten, jenes „Gesindel“, dass Herr Sarkozy als Innenminister unter Chirac mit dem „Hochdruckreiniger“ von der Straße spülen wollte.
Mit der eleganten Sozialistin Segolene Royal und dem rabiaten Gaullisten Nicolas Sarkozy hatten die Franzosen die Wahl zwischen zwei Gesellschaftsentwürfen: dem klassischen Sozialstaat mit
Marktwirtschaft, der die Bürger umsorgt und womöglich sogar stärker beteiligt und einem modernern Kapitalismus, der vor allem die Eliten und die Wirtschaft begünstigt und die Spaltung des Landes
zwischen arm und reich vertiefen wird. Bezeichnend war auch, dass der frisch gewählte Präsident nach der Wahl sich einen Urlaub auf der Luxusjacht eines ihm nahestehenden Milliardärs
genehmigte.
Ob es Nicolas Sarkozy gelingen wird, die Grande Nation wieder zu einigen wird sich zeigen. Daß eines der wichtigsten EU-Länder aber nun von jemandem geführt wird, der eine verkürzte und im
wesentlichen auf die Bedürfnisse des Kapitals zugeschnittene EU-Verfassung durchpeitschen möchte, sollte alle Demokraten in Europa alarmieren.
Kay Hanisch
Dalai Lama in Berlin
Auch wenn die Politik der Regierung Merkel in nahezu allen Bereichen kritikwürdig ist und jeden aufrechten Demokraten mit Abscheu erfüllt, muß man doch bewundernd anerkennen,
daß die Bundeskanzlerin genug Mut hatte, sich mit dem 14. Dalai Lama, dem geistlichen Oberhaupt der Tibeter, offiziell im Kanzleramt zu treffen. Die „Volksrepublik“ China, die Tibet schon vor
mehr als einen halben Jahrhundert annektiert hat und ein brutales Besatzungsregime installiert hat, straft nämlich jede Regierung und alle prominenten Politiker mit Verachtung und Schmähungen,
die es wagen, sich offiziell mit dem tibetanischen Religionsführer zu treffen. Der 14. Dalai Lama galt schon im jugendlichen Alter vor seiner Flucht ins Exil als Reformer der verkrusteten
Feudalstrukturen Tibets. Mittlerweile hat er seine weltliche Macht abgegeben, gibt es eine demokratisch gewählte Regierung und ein Parlament - allerdings außerhalb von China. Der Dalai Lama, 1989
für seinen gewaltlosen Freiheitskampf mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, residiert mit seiner Exilregierung in der grenznahen indischen Kleinstadt Dharamsala.
Daß China Regierungen, die offizielle Kontakte zur tibetanischen Exilregierung pflegen, „Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chinas“ vorwirft, ist geradezu schizophren. Denn die
kommunistischen Besatzer mischen sich seit 1951 in die inneren Angelegenheiten Tibets ein!
Der Dalai Lama ist – trotz aller chinesischen Demütigungen - in seinem Versöhnungskurs inzwischen dazu übergegangen, nur noch eine Autonomie für Tibet zu fordern, in der Hoffnung, die Pekinger
Betonköpfe würden dieses Entgegenkommen honorieren. Doch von der KP-Führung kommt keinerlei Kompromissbereitschaft.
Deshalb ist es für uns Demokraten selbstverständlich, jene zu unterstützen, die gewaltlos für die Unabhängigkeit und Freiheit ihrer Nation kämpfen, so wie dies einst Mahatma Gandhi in Indien,
Kwame Nkrumah in Ghana oder Kenneth Kaunda in Sambia getan haben.
Und Frau Merkel können wir nur wünschen, in Sachen Menschenrechten standhaft zu bleiben, sowohl gegenüber China, als auch gegenüber den USA, wobei sie sich Letzteres ja leider versagt hat.
Kay Hanisch, 2007
Terror gegen Terror
Die Ignoranz der Herrschenden kennt offenbar keine Grenzen. Obwohl sich selbst im sonst so willfährigen Koalitionspartner SPD Widerstand regt, sind die beiden Hardliner aus der CDU-Riege,
Innenminister Wolfgang Schäuble und Verteidigungsminister Franz-Josef Jung entschlossen, den Umbau der Bundesrepublik zum autoritären Staat voranzutreiben. Erst die Online-Durchsuchung der
Computer von „Terrorverdächtigen“, wobei wohl anzunehmen ist, dass schnell alle politisch Missliebigen unter diese Bezeichnung fallen können, dann Schäubles Gedankenspiele um den „vorbeugenden
Gewahrsam“, der im Prinzip die Unschuldsvermutung aufhebt und nun sollen auch noch vollbesetzte Passagierflugzeuge abgeschossen werden können, wenn diese von Terroristen gekapert wurden.
Man glaubt, in dem man die entführten Maschinen abschießt, könnte man verhindern, dass die Terroristen die Flugzeuge als Waffe einsetzen, ähnlich wie es am 11.9.2001 in den USA geschah. Die
rot-grüne Bundesregierung hatte schon ähnliche Versuche unternommen, eine Gesetzesinitiative zum Abschuß entführter Passagierjets zu starten.
Daß diese Vorstöße, die denen von Verteidigungsminister Jung ähneln, bereits vom Bundesverfassungsgericht 2006 kassiert wurden und dass das Gericht urteilte, dass „Leben nicht gegen Leben“
aufgerechnet werden können, scheint Minister Jung nicht zu stören. Mit welcher Ignoranz sich der eigentliche Jurist Jung über Gerichtsurteile hinwegsetzen möchte, konnte man kürzlich erleben, als
ein Gericht zugunsten der Gegner eines Bombenabwurfplatzes („Bombodrom“) in der Ruppiner Heide entschied.
Widerstand regt sich bereits selbst im Militär. Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, einer Art „Soldaten-Gewerkschaft“, Bernhard Gertz, der immerhin die Interessen von ca. 212.000
Soldaten vertritt sagte: „Da der Abschuss von unschuldigen Geiseln an Bord eines Flugzeuges mindestens den Straftatbestand des Totschlages erfüllt, kann jeder Pilot sich ohne Angst vor
Konsequenzen weigern, eine solche Entscheidung zu treffen.“ Der Verband der Jet-Piloten innerhalb der Bundeswehr empfahl seinen Mitgliedern bereits die Befehlsverweigerung, was beide Minister auf
die Palme brachte.
Es wirft auch ein trauriges Licht auf die Verfassungstreue der CDU, wenn Jung jetzt noch Rückenwind aus der eigenen Partei für seine Ideen erhält. Und Innenminister Schäuble sprach kürzlich von
Grundgesetzänderungen, die nötig sein werden, um den Terrorismus zu bekämpfen, was nichts anderes heißt als: passt die Verfassung nicht zur Regierung, muß die Verfassung passend zur Regierung
gemacht werden. Alle Bürger sind aufgerufen, genau hinzuschauen, wenn die Regierung ihre Vorschläge zur Grundgesetzänderung macht. Denn es ist zu befürchten, dass sie in einigen anderen Bereichen
des GG ebenfalls Änderungen durch die Hintertür vornimmt, die den Rechtsstaat weiter aushebeln. Denn auch der Artikel 146, der den Deutschen nach der Wiedervereinigung 1990 das Recht auf eine
neue Verfassung und einen Volksentscheid darüber zugesteht, ist den Herrschenden ein Dorn im Auge.
Der halbherzige Widerstand der SPD wird bald gebrochen sein, man wird hinter den Kulissen einen Kompromiss auskungeln und wenn sich die öffentliche Aufregung gelegt hat, setzt man das Thema
erneut auf die Tagesordnung. Und hier schlägt die Stunde der Demokraten! Sie müssen handeln und sich den Plänen der Regierung widersetzen! Denn es dürfte die Hinterbliebenen der abgeschossenen
Passagiere kaum trösten, wenn sie erfahren, dass ihre Angehörigen nicht durch die Hand al-Qaidas, sondern durch die Bundesregierung ums Leben kamen.
Kay Hanisch
Darfur und kein Ende
Was passiert wirklich in Darfur, wie entstand der Konflikt und wie kann man ihn lösen? Eine (viel zu) kurze Betrachtung
8.9.2007. Fast jede Woche hören wir, in der sudanesischen Provinz Darfur gehe ein Völkermord vor sich, das Wort „Genozid“ fällt und Hilfsorganisationen sprechen von der
derzeitig größten humanitären Katastrophe.
Wir können den Medien entnehmen, dass in Darfur arabisch-stämmige Reitermilizen, sogenannte Djanjawid ( was soviel wie „Geisterreiter“ bedeutet) die zumeist schwarzafrikanischen Bauern ermorden
oder vertreiben und ihre Dörfer niederbrennen. Die Medien machen es sich einfach und erklären, hierbei handele es sich um einen Konflikt um Land und Trinkwasser zwischen arabisch-stämmigen
nomadisierenden Viehzüchtern und schwarzafrikanischen sesshaften Bauern. Doch diese Erklärung stimmt nur zur Hälfte.
Der Konflikt ist extrem kompliziert. Um zu verstehen, was heute in Darfur passiert, müssen wir erst einmal einen Blick in die Vergangenheit werfen:
In Darfur lebten schon immer unterschiedliche muslimische Stämme von Schwarzafrikanern und Arabern zusammen. Bis 1874 war Darfur ein unabhängiges Sultanat, es geriet unter britische
Kolonialherrschaft und wurde im Zuge der Entkolonialisierung 1956 ein Teil des Retortenstaates Sudan.
Die Elite des unabhängigen Sudans bestand aus sogenannten muslimischen „Flussarabern“, d.h. hellhäutigen Bewohner der Nilregion und der Hauptstadt Khartum. Schon damals galten die ebenfalls von
Muslimen bewohnte Provinz Darfur und der vorwiegend von schwarzafrikanischen Christen und Animisten besiedelte Südsudan als lästige Peripherie und wurden in Fragen der wirtschaftlichen
Entwicklung, dem Aufbau einer modernen Verwaltung und der politischen Mitsprache extrem vernachlässigt.
Die Rolle Libyens
Der libysche Revolutionsführer Muammar al-Ghaddafi entwickelte sich zu einer der Schlüsselfiguren im Darfurkonflikt.
Die Bevölkerung Darfurs besteht aus hellhäutigen Arabern und schwarzafrikanischen Muslimen. Im Rahmen seiner damaligen panarabischen Ideologie, welche die Araber als „überlegene Rasse“
herausstellt, unterstützt Ghaddafi die „Arabische Union“ in Darfur, eine militante, panarabische Gruppe, die erst den Tschad und dann den Sudan unter arabische Vorherrschaft bringen will. Der von
1969-85 regierende sudanesische Präsident Jaafar Mohammed el Numeiri betreibt eine Schaukelpolitik zwischen Ost und West, doch wendet er sich in letzter Zeit verstärkt dem Westen zu, was das
Misstrauen Ghaddafis erregt: der „Verräter“ Numeiri muß weg!
Die Verbindung zum Tschad
Der Darfurkonklikt ist eng mit dem Bürgerkrieg im benachbarten Tschad verzahnt und eine alleinige Lösung eines der Konflikte wohl unmöglich. Wie auch im Sudan leben im Tschad im Norden
Muslime und im Süden schwarze Christen. Der seit 1960 regierende pro-französische Diktator Francois Tombalbaye ist ein Christ aus dem Süden. Schrittweise verdrängt er die Muslime aus der
Verwaltung und besetzt alle einflussreichen Posten im Staat mit Angehörigen seines Sara-Volkes. Schließlich werden sogar Rituale der Sara als allgemeingültig erklärt. Dagegen formiert sich mit
der Rebellenbewegung FROLINAT der Widerstand der Muslime.
Doch die FROLINAT ist zerstritten, ihre Kriegsherren rivalisieren miteinander. Einer ihrer einflussreichsten Führer ist der Muslim Hissen Habré.
Da diese Gruppe für die „arabische Sache“ kämpft, erhält sie Unterstützung sowohl von Libyen als auch vom Sudan, wo sie in Darfur ihre rückwärtigen Stützpunkte anlegt. Besonders Habrés Fraktion,
der „Nordarmee“ FAN, greift der Sudan unter die Arme, da Habré ein erklärter Ghaddafi-Gegner ist und Libyens Revolutionsführer fleißig gegen die sudanesische Regierung intrigiert. 1982 kommt
Habré im Tschad an die Macht, die mit ihm rivalisierenden FROLINAT-Führer ziehen sich nach Darfur zurück und unternehmen mit libyscher Hilfe Feldzüge in den Tschad.
Der Konflikt beginnt in den 80iger Jahren
1986 wird Sadik al-Mahdi, Führer der Umma-Partei und ein Abkömmling eines legendären Aufstandsführers gegen die britische Kolonialherrschaft zum sudanesischen Regierungschef gewählt.
Seine Politik dient hauptsächlich der Sicherung seiner Macht und ist im Endeffekt als ziemlich konfus zu bezeichnen. Auf dem Weg zur Macht wird er von Libyens Revolutionsführer Muammar
al-Ghaddafi unterstützt, dem al-Mahdi für diese Hilfe versprochen hat, Darfur an Libyen abzutreten. Einmal im Amt, vergisst der sudanesische Premier schnell das unpopuläre Versprechen. Tausende
libysche Soldaten haben inzwischen die Provinz besetzt und bilden internationale Araberbrigaden aus und Habrés Armee – unterstützt von Frankreich und konservativen Golfstaaten - unternimmt
Vorstöße nach Darfur, um die tschadischen Rebellen zu bekämpfen, die sich dorthin zurückgezogen haben. Die Bevölkerung Darfurs leidet also unter der libyschen Besetzung und dem tschadischen
Bürgerkrieg. Hinzu kommt noch, dass die Regierung al-Mahdi nichts unternimmt, um die Provinz zu befrieden oder die ausländischen Truppen zu vertreiben. Im Gegenteil, sie schürt den Rassismus
zwischen Arabern und Schwarzen, eine Dürre und eine darauffolgende Hungersnot verschärfen die Situation zusätzlich. Die rassistische Saat, die Mitte der 80iger Jahre gelegt wurde, ist eine der
Hauptwurzeln für den Fanatismus, mit dem der Bürgerkrieg in Darfur heute geführt wird. Im Süden des Sudan rebellierten bereits die christlichen Schwarzafrikaner gegen die muslimische
Zentralregierung und man fürchtete in Khartum eine Allianz der „Schwarzen des Südens“ mit denen in der benachteiligten Westprovinz Darfur.
Der Bürgerkrieg des Tschad schwappte zusätzlich immer mehr in den Sudan über und machte auch Darfur zum Kriegsgebiet. Auch die neue, 1989 per Putsch an die Macht gekommene Regierung Sudans des
heutigen Präsidenten Omar al-Bashir war durch die widersprüchlichen Interessen Khartums, Frankreichs, den Ansprüchen von Ghadaffi und von Habré nicht willens oder in der Lage, den Konflikt in
Darfur vom Konflikt im Tschad zu trennen. Dies änderte sich erst 1990 mit der Machtübernahme von Idriss Déby im Tschad.
Die Winkelzüge des Idriss Déby
Déby war einst Sicherheitsberater von Präsident Hissen Habré, fiel nach seiner angeblichen Beteiligung an einem Putschversuch aber in Ungnade und musste fliehen. Er schaffte es in
kurzer Zeit, eine Rebellenarmee aufzubauen und sich der Unterstützung Libyens und des Sudans, gleichzeitig aber auch Frankreichs und der USA zu versichern. In einem kurzen Bürgerkrieg vertrieb
der ehemalige Kampfpilot Déby, der einen Ruf als ausgezeichneter Stratege genoß, den Diktator Habré von der Macht. Er ließ Oppositionsparteien zu, band Rebellengruppen in den politischen Prozeß
ein und legte den Grundstein für das Entstehen einer freien Presse und einer Zivilgesellschaft, die ihm heute auf der Nase herumtanzt. Doch bald zeigte sich, dass Débys „Demokratie“ nur eine
„weiche Diktatur“ war, der tschadische Präsident konnte genauso wenig wie all seine Vorgänger von der Macht lassen. Mit taktischen Spielchen und Manipulationen hielt er sich seither im Amt, die
letzten Wahlen galten weder als frei noch als fair. Seine wechselhafte Politik zwischen Tripolis und Paris, zwischen Khartum und Washington, die versuchte, allen Interessen Rechnung zu tragen,
bescherte dem Tschad fast 10 Jahre eine relative Stabilität, wurde aber später immer mehr zum Drahtseilakt ohne Netz und doppelten Boden. Zum Schluß brachte Déby alle seine Verbündeten gegen sich
auf, inklusive des eigenen Clans und des Minderheitenvolkes der Zaghawa, dem er selbst angehört. Denn auch die Zaghawa gehören wie die Fur und die Masalit zu den rebellierenden
schwarzafrikanischen Völkern in Darfur. Déby hatte erkannt, dass mit dem Regime im Sudan nicht gut Kirschen essen ist und beschränkte seine Aktivitäten zunächst auf Vermittlungsversuche in der
Krisenprovinz. Dies führte zum Putschversuch hochrangiger Zaghawa-Militärs gegen seine Regierung und erschütterte die Stabilität seines Regimes. Immer mehr Zaghawa forderten, den Blutsbrüdern im
Sudan beizustehen. So war Déby „eingeklemmt“ zwischen dem mächtigen Nachbarn Sudan und den pro-sudanesischen Rebellen im Tschad einerseits und der Rebellion aus dem eigenen Lager, die ebenfalls
den bewaffneten Kampf aufgenommen hatte. Dies erklärt auch das widersprüchliche Verhalten Débys, sowohl mit dem Sudan einen Pakt über gegenseitige Nichtunterstützung von Rebellengruppen zu
unterzeichnen, als auch die Rebellen in Darfur aufzurüsten und sie sogar zur Unterstützung seiner Truppen im Tschad einzusetzen.
Die Gewalt in Darfur hat mehr als 2 Mio. Flüchtlinge und über 200.000 Tote gefordert, den sudanesischen Bürgerkrieg in die Nachbarländer Tschad und Zentralafrikanische Republik (ZAR) exportiert,
dort ebenfalls Gewalt und Flüchtlingsströme ausgelöst und den Rassismus in der Region weiter angeheizt.
Bliebe noch die Frage, warum die sudanesische Regierung die Djanjawid-Milizen unterstützt und ausrüstet, warum sie auf Spaltung des sudanesischen Volkes, statt auf Versöhnung und Integration
setzt? Dies ist damit zu beantworten, dass der Rassismus auch ein wesentlicher Bestandteil des Regimes ist. Würde Khartum die benachteiligten Schwarzafrikaner zu gleichen Teilen in die Führung
des Landes einbinden, würde dies zum Verlust der Privilegien der „Flussaraber“ führen, welche die derzeitige Elite darstellen. Der Diktator Bashir wäre vielleicht sogar durch Putschisten aus dem
eigenen Lager bedroht, würde er diesen Versuch unternehmen.
Die „Politik der verbrannten Erde“ (d.h. Vertreibungen, Morde, Plünderungen und das Niederbrennen der schwarzafrikanischen Siedlungen in Darfur) folgt der fatalen Logik der Guerillastrategie von
Mao Zedong: nämlich, dass sich die Rebellen unter der Bevölkerung „wie Fische im Wasser bewegen“ sollen, sich also unters Volk mischen. Das Regime Bashirs schloß daraus: wo kein Wasser ist,
können auch keine Fische sein. Was soviel bedeutet wie: sind alle Dörfer zerstört und ist die Bevölkerung ins Ausland oder in die Lager bei den großen Städten geflohen, die von Polizei und
Geheimdienst kontrolliert werden können, dann gibt es für die Rebellen auch keine Möglichkeiten sich unter den Zivilisten zu verstecken. Diese Strategie können wir in Darfur beobachten und dies
erklärt auch die Unterstützung der Regierung für die Djanjawid, die einmal allein, einmal im Verbund mit Regierungstruppen für Khartum die Drecksarbeit erledigen.
Welche Schritte zur Lösung des Konfliktes gibt es?
1.) Wichtigster Grundsatz: alle beteiligten Parteien aus Sudan, Tschad und ZAR müssen ihr Gesicht wahren dürfen.
2.) Der Konflikt in der ZAR ist nicht so sehr mit dem Bürgerkrieg im Sudan verflochten. Dieser Konflikt ist als erstes herauszulösen. Der Sudan unterstützt die Rebellen in der ZAR, da
deren Staatspräsident Francois Bozize ein Verbündeter von Idriss Déby ist und 2003 mit Waffenhilfe des tschadischen Präsidenten an die Macht kam, inzwischen wurde er in Wahlen im Amt bestätigt.
Khartum müsste sich verpflichten den Rebellen in der ZAR keine Hilfe mehr zu gewährleisten, an der gemeinsamen Grenze sollte auf beiden Seiten eine entmilitarisierte Zone entstehen, die von der
Afrikanischen Union (AU) überwacht wird. Die ZAR und Sudan normalisieren ihre Beziehungen, dies muß im Einvernehmen mit dem Tschad geschehen.
3.) Idriss Déby muß seine Herrschaft stabilisieren, die von einer bunt gescheckten zivilen und militärischen Opposition in Frage gestellt wird. Dies ist mit dem Abkommen mit einem großen
Oppositionsbündnis über eine weitere Demokratisierung und transparente Wählerregister bereits z.T. geschehen. In einer echten Demokratisierung des Tschad scheint fürs erste der Schlüssel zur
Befriedung des Landes zu liegen.
4.) Die EU-Truppe, welche die tschadischen Flüchtlingslager vor Djanjawid-Milizen beschützen soll, ist zu begrüßen. Sie muß aber auch unterbinden, dass sudanesische Djanjawid und tschadische
Rebellen die Grenze nach Darfur überschreiten. Dies ist derzeit nicht der Fall, denn Déby braucht die durchlässige Grenze, um die Darfur-Rebellen zu unterstützen. Ist die Grenze dicht, ist es
schwieriger für Khartum und N´Djamena schwieriger, der Rebellion im jeweils anderen Land zu helfen. Das bereits geschlossene Abkommen zwischen Déby und Bashir zur gegenseitigen Nicht-Einmischung
könnte greifen.
5.) Libyen, das über seinen Geheimdienst Kontakt zu nahezu jeder Rebellengruppe in der Region hat, muß stärker als Vermittler eingebunden werden. Zumal Libyens Revolutionsführer Ghaddafi sich von
der panarabischen Idee abgewannt hat und heute zu den Propagandisten des Panafrikanismus zählt.
6.) Entscheidend ist letztendlich, wie die sudanesische Regierung mit den Forderungen der Rebellen umgeht und wieviel Macht sie bereit ist abzugeben. Auch eine Demokratisierung im Sudan würde
vieles lösen. Doch sie ist derzeit unwahrscheinlicher als im Tschad. Eine Autonomie für Darfur ist wohl unumgänglich. Einer Forderung wie aus dem Südsudan, nämlich nach einigen Jahren Autonomie
ein Unabhängigkeitsreferendum durchzuführen, kann die Regierung wohl nicht zustimmen.
Denn dies würde das Ende des Staates Sudan bedeuten.
Kay Hanisch
Mit hochsubventionierten Lebensmitteln zerstört der Westen die Landwirtschaft afrikanischer Staaten und legt somit selbst den Grundstein für die zahlreichen Armutsflüchtlinge, die
jeden Tag in Europa eintreffen
25.6.2007. Der Westen und die in seinem Sinne Politik machenden internationalen Finanzinstitutionen wie Weltbank, Internationaler Währungsfonds (IWF) und Welthandelsorganisation
(WTO) setzen die armen Staaten Afrikas ständig unter Druck, sie sollten ihre Wirtschaft für Handel und Wettbewerb öffnen. Da diese Staaten, sofern sie sich weigern, nicht mehr damit zu rechnen
brauchen, von diesen Institutionen Kredite zu bekommen, stimmen sie dem Niederreißen der Zollschranken zu – mit fatalen Folgen! Denn die EU-Staaten und die USA denken überhaupt nicht daran im
Gegenzug ihre Märkte für die afrikanischen Produkte zu öffnen. Nach wie vor schützen hohe Zölle die Bauern Europas und Nordamerikas vor afrikanischer Konkurrenz. Dank der gewaltigen
Exportsubventionen aus Steuergeldern können Europa und die USA ihre produzierten Nahrungsmittelüberschüsse günstiger auf den afrikanischen Märkten verkaufen, als die Afrikaner ihre eigenen
landwirtschaftlichen Produkte. In Burkina Faso kostet ein Liter pasteurisierte Milch aus eigener Produktion ca. 90 Cent, während aufbereitetes Milchpulver aus der EU, welches den dortigen Markt
überschwemmt, für 30 bis 60 Cent zu haben ist. Ein weiteres Ungleichgewicht im angeblich „freien Wettbewerb“ sind die Produktionsmittel: während die afrikanischen Bauern mit Hacke und Pflug auf
das Feld ziehen, werden im Westen aufgrund modernster Technik, hoher Agrarsubventionen und einer Politik, welche die Landwirtschaft in den USA und der EU vor Importkonkurrenz schützt,
Agrarprodukte in einer Menge, einer Effizienz und Rentabilität hergestellt, der die afrikanischen Bauern nichts entgegen setzen können – höchstens mit Schutzzöllen!
Zynisch fordert Angela Merkel in Heiligendamm die Erhöhung der Hilfe für Afrika, obwohl die auf dem G8-Gipfel 2005 gemachten Hilfszusagen bis heute noch nicht eingelöst sind. Und während man die
Afrikaner wieder mit Versprechen und Sonntagsreden hinhalten wird, fischen moderne Fangschiffe, die regelrechte schwimmende Fabriken sind, die Küsten Westafrikas leer. Die einheimischen Fischer
können mit ihren kleinen Booten und Pirogen gegen diese Konkurrenz nichts ausrichten und weil viele Fischer nicht mehr genügend fangen, um ihre Familien zu ernähren, wenden sie sich mit ihren
Booten einem anderen Geschäft zu – dem Menschenschmuggel auf die zu Spanien gehörenden Kanarischen Inseln und somit nach Europa. Und während der Westen noch frech von den Afrikanern mehr
Umweltbewusstsein fordert, besitzen die Fangschiffe aus der EU weitaus engmaschigere Netze als die Boote der Einheimischen und fangen so auch die jüngeren Fische.
Nicht alle afrikanischen Regierungschefs besitzen eine Dreistigkeit wie Tschads Präsident Idriss Déby, eigentlich ein Verbündeter des Westens. Der ließ im vergangenen Jahr, als die Weltbank, die
an Tschads Öleinnahmen beteiligt ist und diese verwaltet, kein Geld überweisen wollte, der Bank mitteilen, daß er dann den Ölexport seines Landes stoppen werde und die ca. 200.000
Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Sudan wieder abschieben werde, wenn der Tschad nicht bald das ihm zustehende Geld bekommt. Die meisten afrikanischen Staaten versuchen sich aber mit den
Internationalen Finanzinstitutionen (IFIs) gütlich zu einigen: sie senken Zölle, öffnen ihre Märkte, senken ihre Staatsausgaben und privatisieren ihre Staatsbetriebe.
Quoten und Lizenzen fallen weg, meist ist diese „Liberalisierung“ auch mit einer Abwertung der Währung verbunden. Der Senegal ließ sich Mitte der 90iger Jahre auf dieses Spiel ein, um an Kredite
zu kommen. Quasi über Nacht wurde das Land überschwemmt mit subventionierten Billigprodukten aus dem Ausland. Chinesisches Tomatenmark trieb die senegalesischen Tomatenbauern in den Ruin,
niederländische Zwiebeln und Reisabfälle aus Thailand (sogenannter „Bruchreis“) und us-amerikanische Baumwollüberproduktionen taten das Gleiche mit anderen senegalesischen Wirtschaftszweigen. Die
EU-Importe stiegen auf das 20-fache an und Hähnchenflügel, die in Europa sowieso als Abfälle gelten und zu Tiermehldünger zermahlen werden, gelangten als Lebensmittel in den Senegal, wo sie dank
Dumping-Preisen die dortigen Geflügelzüchter vom Markt fegten, über 2.000 Züchter gaben auf.
Mehr als 40 Jahre nach dem Abzug der Kolonialherren, erlebt Afrika wieder eine neue Kolonialisierung. Doch die neuen Kolonialherren kommen nicht mit Kanonen, sondern mit Scheckbüchern und
Billigprodukten. Schritt für Schritt bringen die wirtschaftlich stärkeren Nationen dank der Spielregeln der Globalisierung die ganze ohnehin bescheidenen Wirtschaftszweige afrikanischer Staaten
unter Kontrolle.
Doch nicht nur die EU, auch die USA betreiben diese Re-Kolonialisierungspolitik. So sind es nicht nur die subventionierten Agrarprodukte made in USA (z.B. Baumwolle), die den
Afrikanern zu schaffen machen, sondern auch die US-Hilfsorganisationen, die eigentlich dafür sorgen sollten, dass es den Armen auf dem „Armutskontinent“ besser geht. Das Welt-Ernährungsprogramm
(WFP) der UNO erhält von keinem Land der Welt mehr Unterstützung als von den USA. Die subventionierten US-Produkte werden von US-Speditionen zu US-Schiffen gekarrt und über Hilfsorganisationen
wie Catholic Relief Services entweder verteilt oder zum Spottpreis verkauft – denn mit dem Geld bezahlt die genannte Organisation ihre Hilfsprojekte in Gesundheitswesen und ihre
Schulungsprogramme. Fazit: wieder bleiben die einheimischen Bauern auf ihren Produkten sitzen. Statt zu helfen, richtet man als Hilfsorganisation so eher Schaden an – obwohl dies gewiß nicht für
alle Hilfsorganisationen gilt. Und so manche Regierung eines afrikanischen Staates wartet bei einer drohenden Hungersnot lieber auf die Hilfe des World-Food-Programmes als mit eigenem Geld die
Produkte der einheimischen Bauern aufzukaufen.
Es wurde so eine Kultur der Abhängigkeit geschaffen, die jede Eigeninitiative zerstört und Regierungen, die nichts für die Entwicklung ihrer Länder tun, stabilisiert.
Entwicklungshilfe muß auch wirkliche Entwicklung zur Folge haben. Sie darf sich nicht nur als Investition des Westens in eigene Wirtschaftsinteressen darstellen. Afrikaner dürfen nicht nur für
niedere Tätigkeiten in westlichen Ölkonzernen, Diamantenminen etc. eingesetzt werden, sondern müssen auch Know-How, Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt bekommen, die es den Afrikanern
ermöglichen, die Entwicklung ihrer Länder in die eigenen Hände zu nehmen.
Viele afrikanische Regierungschefs hatten das schon vor langer Zeit erkannt, wie z.B. Nigers Präsident Seyni Kountché (1974-87), der mit dem Modell der „Entwicklungsgesellschaft“
seinen armen Sahelstaat auf eine basisorientierte Wirtschaft umstellte, um die Grundersorgung der Bevölkerung zu sichern.
Im praktischen Sinne heißt das zum Beispiel: Gebt den Afrikanern Samen und Dünger, gebt ihnen technische Geräte, die für afrikanische Umweltbedingungen taugen und zeigt ihnen, wie man sie
selbst wartet und repariert. Gesteht den Entwicklungsländern endlich die Souveränität zu, selbst über ihr Wohl und ihre politischen und wirtschaftlichen Systeme zu entscheiden.
Auch in Deutschland beschwert man sich zu Recht darüber, dass ausländische Billigprodukte (vornehmlich aus Asien) unseren Markt überschwemmen und die einheimische Industrie unter
dieser Konkurrenz leidet. Sowohl für Deutschland als auch für die afrikanischen Länder gilt: es ist Aufgabe des Staates regionale und nationale Wirtschaftskreisläufe zu erhalten und dazu bedarf
es u.a. der Steuerung z.B. durch Zölle.
Nach UNO-Zahlen hat in jenen Staaten, die ihre Märkte vorsichtig geöffnet haben, die Armut nicht so schnell zugenommen, wie in jenen, die sich vollständig den Spielregeln der IFIs unterwarfen.
Auch die asiatischen „Wirtschaftswunder-Staaten“ wie Malaysia, Taiwan oder Südkorea bauten erst hinter hohen Zollmauern eigene leistungsfähige Betriebe auf, bevor sie sich dem globalen Handel
öffneten.
Da braucht es dann niemanden in Europa verwundern, wenn scharenweise Flüchtlinge aus Afrika nach Europa einfallen, denn den meisten dieser Menschen wurde durch die Politik des Westens und der
IFIs die Existenzgrundlage zerstört.
Samba Guéye, Präsident des senegalesischen Bauernverbandes brachte es in einem Gespräch mit dem SPIEGEL im Mai 2007 ganz klar auf den Punkt: „Wenn die reichen Länder jede
Entwicklungschance in unseren Ländern zerstören, dann müssen wir uns eben in ihren entwickeln. Wir haben Erdnüsse exportiert, das wurde uns kaputt gemacht. Wir exportierten Fisch, der wurde uns
weggefangen. Nun exportieren wir eben Menschen.“
Kay Hanisch
Bundeskanzlerin Merkel kritisierte Simbabwes Präsident Mugabe und die schlimmen Zustände in seinem Land. Doch dafür ist zum Teil der Westen verantwortlich. Die
Wahrheit:
In schulmeisterlicher und überheblicher Art trat Angela Merkel auf dem EU-Afrika-Gipfel am 8./9. Dezember in Lissabon auf. Sie kritisierte den autoritär herrschenden Präsidenten von Simbabwe,
Robert Mugabe: die Situation in Simbabwe „schadet dem Ansehen des neuen Afrika“ und wegen „schlechter Regierungsführung und Mißachtung von Menschenrechten“ sei die Lage in diesem Land nicht
hinnehmbar.
Die Afrikaner reagierten auf Merkels Belehrungen zurecht äußerst reserviert. Senegals prowestlicher Präsident Abdoulaye Wade warf ihr vor, sie habe keine Ahnung wovon sie spreche: „Sie hat
aufgrund von Informationen gesprochen, von denen die meisten nicht stimmen. Was die Medien erzählen, stimmt nicht, es ist falsch.“
Der angegriffene Robert Mugabe, der sein Land erst 1980 in die Unabhängigkeit von Großbritannien führen konnte, warf den Europäern „Arroganz“ vor, sein Informationsminister erklärte einen Tag
später, Merkel sei ein „Überbleibsel aus der Nazi-Zeit“.
Was war der Hintergrund dieses Schlagabtauschs? Zuerst muß man sagen, daß Robert Mugabe in Europa, besonders in der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien, sehr unbeliebt ist, weil er die Farmen
der weißen Großgrundbesitzer enteignen ließ und das Land an Schwarze verteilte. Deshalb blieb der britische Premier Gordon Brown dem Gipfel auch fern. Besonders unter der Labour-Regierung von
Tony Blair verschlechterten sich die Beziehungen zwischen beiden Ländern. In einem SPIEGEL-Interview im Frühjahr 2007 erklärte Kenneth Kaunda, der Unabhängigkeitskämpfer und erste Staatspräsident
von Simbabwes Nachbarland Sambia, der Öffentlichkeit warum:
Nachdem Mugabe 1980 „Ministerpräsident geworden war, sagte ihm Margaret Thatcher (die britische Premierministerin): Machen Sie, was Sie wollen, aber rühren Sie mindestens 10 Jahre lang die
Landfrage nicht an. Schmeißen Sie die britischstämmigen Farmer nicht raus. Er war Premier, aber das Land befand sich zu einem großen Teil immer noch in der Hand derjenigen, die ihn zuvor
eingesperrt hatten. Trotzdem hielt er sein Versprechen. Die konservativen Regierungen von Thatcher und später von John Major diskutierten immer wieder die Frage des Landbesitzes und suchten eine
einvernehmliche Lösung. Sie wollten erreichen, daß mehr weiße Farmer freiwillig Land verkauften. Ausgerechnet Tony Blairs Sozialisten wollten plötzlich nichts mehr davon wissen.“
Mugabe mußte handeln, denn die vielen Bürger Simbabwes, die ihn im Unabhängigkeitskampf unterstützt hatten, wollten nun das Land für sich selbst in Besitz nehmen, schließlich hatten sie auch
dafür gekämpft. Die vor einigen Jahren per Gesetz verfügte Enteignung zahlreicher Farmer führte schließlich auch dazu, daß westliches Kapital um Simbabwe einen Bogen machte und westliche
Unternehmen ihre Kapitaleinlagen zurückzogen, was Simbabwe in eine wirtschaftliche Krise stürzte. Wenn man heute von den chaotischen Verhältnissen in dem Land mit weit über 7.000% Inflation und
80% Arbeitslosigkeit hört, so wird immer wieder verschwiegen, dass diese Probleme nicht ausschließlich hausgemacht sind, sondern Teil einer Strategie des Westens, Mugabe unter Druck zu setzen,
seine antikapitalistisch, antiwestlich ausgerichtete Politik einzustellen.
Immer wieder versucht der Westen und neuerdings auch Rußland, ökonomische Daumenschrauben bei mißliebigen Regierungen anzusetzen. Der wirtschaftliche Druck der USA auf Chile während der Regierung
des Sozialisten Salvador Allende 1970-73 oder das Embargo gegen Kuba sind weltweit bekannt. Doch was in Afrika passiert, bekommen wir in Europa kaum mit, denn diese unterentwickelten Staaten
verfügen kaum über die Möglichkeit zu wirksamer „Gegenpropaganda“.
Wenn Frau Merkel, die selbst auch kein Beispiel für gute Regierungsführung abgibt, sich an einer Politik des politischen und ökonomischen Druckes gegen unbotmäßige Regierungen anderer Staaten
beteiligt, so kann dies nur schlecht sein für Deutschlands Ansehen in der Welt. Das Erbe des Kolonialismus lastet schwer auf dem afrikanischen Kontinent. Noch immer betreiben die westlichen
Länder keine Politik partnerschaftlicher Zusammenarbeit, sondern der Bevormundung und wirtschaftlicher Vorteilsnahme. Dass sich die deutsche Bundeskanzlerin in jüngster Zeit zum
ideologischen Wortführer aufschwingt, bedauern die Kräfte der demokratischen Opposition aufs tiefste. Auch in dieser Hinsicht drückt sie nicht mehr den Willen der Mehrheit der Bürgerinnen und
Bürger aus.
Oder hatte sie von der Verwicklung des Westens in die simbabwische Krise vielleicht doch keine Ahnung? Dann hatte der senegalesische Präsident Wade doch recht – Merkel hat
keine Ahnung wovon sie spricht!
Kay Hanisch
Bhuttos Rückkehr
Pakistan hat Atomwaffen und starke organisierte islamistische Gruppen. Die Herrschaft von Militärherrscher Musharraf neigt sich dem Ende.
Während sich der Westen nach der Ausrufung des Ausnahmezustandes in Pakistan in peseudo-demokratischer Scheinheiligkeit übt und vom Militär-Präsidenten Pervez Musharraf verlangt, die Verfassung
wieder in Kraft zu setzen, hat er offenbar vergessen, daß es gerade die selbsternannten Kreuzzügler gegen den Terror vom Schlage eines George W. Bush waren, die Pakistan mit ihrer Politik in
dieses Dilemma brachten.
Dazu muß einiges erklärt werden. Zunächst erst einmal ist und war Pakistan keine Demokratie im westlichen Sinne. Die Macht geht nach wie vor von ein einflußreichen Feudalherren und reichen
Familien aus. Sowohl die beiden ehemaligen Premierminister Benazir Bhutto und Nawaz Sharif – heute die wichtigsten Oppositionsführer – entstammen diesen einflußreichen Familien wie auch der
inzwischen von Musharraf abgesetzte Oberste Richter Iftikhar Chaudhry.
Ähnlich wie in einigen europäischen Staaten ist auch das Amt des Staatspräsidenten in Pakistan nicht mit sehr viel Macht ausgestattet, die eigentlichen Entscheidungen trifft im Normalfall der
Premierminister. Seit Pakistan 1947 unabhängig wurde, gab es immer wieder Putsche und das Militär mischte sich in die Politik ein. 1970 siegte die säkulare, gemäßigt links orientierte
Pakistanische Volkspartei (PPP) unter Zulfikar Ali Bhutto, dem Vater der heutigen Oppositionsführerin bei den Wahlen. Bhutto wurde Premierminister, verstaatlichte Schlüsselindustrien und
Banken und führte eine Bodenreform durch. Kurz nach seiner Wiederwahl 1977 wurde er aber von Generalleutnant Zia ul-Haq gestürzt, der selbst die Macht übernahm und Bhutto 1979 aufhängen
ließ.
Zia war ein tiefgläubiger radikaler Moslem, dessen Ziel die stärkere Islamisierung Pakistans war. Drakonische Strafen, Alkoholverbot, Prügel und Verstümmelungen im Sinne des Korans gehörten zu
seinem Programm. Seine Anhänger beförderte Zia im Staatsdienst auf einflußreiche Posten. 1988 endete sein Regime, als der Militärdiktator bei einem bis heute ungeklärten Flugzeugabsturz ums Leben
kam.
Die Wahlen im November des gleichen Jahres brachten die PPP und Benazir Bhutto an die Macht, die somit zur ersten Premierministerin in einem islamischen Land gewählt wurde.
Die attraktive 35-jährige war eine charismatische Anführerin und ausgezeichnete Rednerin, welche die Massen begeistern konnte. Allerdings verblaßte ihr Glanz schon kurz nach der Amtsübernahme.
Die PPP hatte keine eigene Mehrheit im Parlament und die Getreuen Zia ul-Haqs im Staatsapparat untergruben ihr Reformprogramm. Zwei Jahre später wurde Bhutto unter dem Vorwurf der Korruption und
Vetternwirtschaft vom Staatspräsidenten entlassen.
Neuer Premierminister wurde jetzt Mian Nawaz Sharif, ein Zögling des Militärdiktators Zia.
Er führte 1991 das islamische Rechtssystem, die Scharia, ein und koalierte mit radikal-islamischen Parteien. Nawaz, der genau wie Bhutto noch Geschäfte „nebenher laufen hatte“, wurde 1993
ebenfalls wegen Vetternwirtschaft und Korruption vom neuen Staatspräsidenten Faruk Leghari (1993-97) entlassen.
Nachfolger des Geschassten wurde wieder Benazir Bhutto, die ihrer zweiten Amtszeit (1993-96) wieder keine Erfolge erzielte, was u.a. daran lag, daß ihre PPP eine Koalition mit der
Pakistanischen Muslim Liga (PML) von Nawaz Sharif eingehen mußte, um regieren zu können.
Ein weiteres Problem war der allmächtige pakistanische Geheimdienst ISI (Inter-Service-Intelligence), der sich zu einem Staat im Staat entwickelt hatte und wie ein Krake seine Tentakel in alle
gesellschaftlichen Bereiche hineinstreckte.
Den radikalen Islamisten im ISI, von Zia eingesetzt und von Nawaz Sharif später protegiert, hatte Benazir Bhutto nicht viel entgegenzusetzen. Im Gegenteil, sie ließ den ISI gewähren und war sich
wohl klar, daß jeder Machtkampf mit dem Geheimdienst nur zu ihren Ungunsten ausgehen konnte. Während ihrer zweiten Regierungszeit 1993-96 wurde im benachbarten Afghanistan vom ISI eine
radikal-islamische Rebellenbewegung aufgebaut, deren Fanatismus alles bisher da Gewesene in den Schatten stellte: die Taliban-Milizen! Die Tatsache, daß dies mit Wissen Bhuttos geschah, brachte
ihr international den Spitznahmen „Hebamme der Taliban“ ein.
Die USA unterstützten die Taliban-Milizen über den ISI oder direkt bei ihrem Vormarsch gegen die Regierung in Kabul.
Warum taten sie das? Es ging wieder einmal ums Öl! Die Regierung in Afghanistan bestand seit 1992 aus einer zerstrittenen Allianz verschiedener Kriegsfürsten unter dem Islam-Theologen Burhanuddin
Rabbani. Diese Allianz, deren Führer hauptsächlich aus ethnischen Minderheiten stammten, hatte bei internen Machtkämpfen Kabul mit Raketen in Schutt und Asche gelegt und weit mehr verwüstet, als
es 10 Jahre sowjetische Militärbesatzung vermochten haben.
Es war klar, daß es mit dieser Regierung keinen Neuanfang in Afghanistan geben konnte. Die USA benötigten aber Stabilität in diesem Land und zuverlässige Geschäftspartner, da sie planten, eine
Pipeline durch Afghanistan zu bauen, um unter Umgehung des Irans Erdöl aus den GUS-Republiken zu exportieren. Wer schien besser geeignet, Stabilität in Afghanistan zu schaffen, als eine Bewegung,
die sich aus der größten ethnischen Gruppe des Landes, den Paschtunen, zusammensetzte? Zumal die Paschtunen auch das ehemalige Herrschervolk waren, dem der letzte, 1973 gestürzte, König
angehörte.
In dieser Weltgegend bestimmen Clan- und Stammeszugehörigkeiten die Loyalitäten und so glaubte auch Pakistan, das selbst über einen 15%-igen paschtunischen Bevölkerungsanteil verfügt, Einfluß auf
die neue, künftige Regierung Afghanistans ausüben zu können. Ziel dieser Politik dürfte wohl auch gewesen sein, die starke Stellung des Iran zu untergraben, der die Regierung Rabbani in Kabul
unterstützte.
So fügte sich eins ins andere. Die Taliban nahmen das Geld und die Waffen von jedem (auch von Saudi-Arabien) und Pakistan und die USA glaubten, diese Rebellengruppe steuern zu können, was sich
später als Fehleinschätzung herausstellte.
1996 wurde Bhutto abermals nach Korruptionsvorwürfen von Nawaz Sharif im Amt des Premiers abgelöst, der den Kuschelkurs mit den Islamisten weiterführte und forcierte, den eigenmächtigen
Aktivitäten des ISI nichts entgegensetzen konnte und nebenbei noch in die eigene Tasche wirtschaftete. So war der Putsch von Generalstabschef Pervez Musharraf 1999 nur die logische Konsequenz aus
dem Versagen der selbsternannten „Demokraten“. Viele Pakistanis begrüßten damals den Umsturz, erhofften sie sich doch von der Militärregierung eine Neuordnung der Verhältnisse. Musharraf warf dem
gestürzten Premier nun vor, er habe versucht, ihn zu ermorden, denn nach Meinungsverschiedenheiten hatte Nawaz Sharif dem Flugzeug seines Generalstabschefs die Landeerlaubnis verweigert und die
Linienmaschine mit Musharraf und 198 Zivilisten an Bord wegen Treibstoffmangel so bald zum Absturz gebracht.
Ein anderer wichtiger Grund für den Putsch, der vielleicht weniger bekannt sein dürfte, war die Tatsache, daß Nawaz Sharif eine Verfassungsreform plante, die den Einfluß des Militärs in der
pakistanischen Gesellschaft wesentlich beschnitten hätte. Das Militär gilt nach wie vor als wichtigster Stabilitätsgarant des Landes und unterhält ein weitverzweigtes Netzwerk von eigenen Firmen
und Bildungseinrichtungen.
Musharraf entmachtete also Premier Sharif, der sich ins Exil absetzte, übernahm selbst den Posten des Regierungschefs und setzte eine neue Zivilregierung ein. Nach dem Rücktritt des
Staatspräsidenten Rafik Tarar 2001 übernahm der kleinwüchsige General auch dieses Amt. Der neue Machthaber konnte seine Sympathien für den türkischen Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk nicht
verbergen. Auch er war ein Anhänger eines laizistischen Staates und eines moderaten, toleranten Islams. Musharraf entließ einige einflußreiche Talibansympathisanten aus Armee und Geheimdienst –
ein Schritt den sich vorher keiner der gewählten Politker getraut hätte. Nicht alle Parteien verurteilten den Putsch. Die winzige, derzeit mit nur einem Abgeordneten im Parlament vertretene
„Pakistanische Bewegung für Gerechtigkeit“ des international bekannten Ex-Kricketspielers Imran Khan begrüßte zum Beispiel Musharrafs Machtübernahme, was zeigt, daß das
pseudo-demokratische System schon damals nur noch wohlgelitten war, auch wenn Khan und seine Partei heute zur Opposition gehören.
Die Regierung verabschiedete ein neues Wahlgesetz, daß darauf abzielte unabhängige Kandidaten und neue politische Kräfte zu fördern und die Dominanz von PPP und PML zu verringern. Obwohl dieses
Konzept bei den Kommunalwahlen nicht aufging und die beiden großen Parteien ihre Stellung festigen konnten, kam es zur Spaltung der Pakistanischen Muslim Liga. Der kleinere Teil bekannte sich zum
gestürzten Premier Sharif und nannte sich nun PML-N („N“ wie „Nawaz Sharif“) und der größere Teil, der als PML-Q firmierte, unterstützte Musharraf und wurde quasi zu dessen Hauspartei.
Schritt für Schritt machte der Militär-Präsident das kurz vor dem Staatsbankrott stehende Land wieder handlungsfähig, wozu er sich nicht scheute, Bündnisse der PML-Q mit islamistischen Parteien
zu begrüßen. Eine nationales Büro für die Bekämpfung der allgegenwärtigen Korruption wurde eingerichtet und Kleinunternehmer steuerlich entlastet.
2002 kam es zu Wahlen, bei denen die PML-Q mit 78 Abgeordneten stärkste Fraktion wurde und die Traditionsparteien PPP (62 Sitze) und PML-N (15 Sitze) auf den zweiten bzw. vierten Platz verwies.
Zudem erhielt Musharrafs Politik im Parlament u.a. noch Unterstützung von der Nationalen Allianz (NA) des ehemaligen Staatspräsidenten Faruk Leghari (11 Sitze) und der MQM, einer Partei,
die die Interessen der indischstämmigen Einwanderer vertritt (13 Sitze).
Kurz nach der Wahl gab Musharraf das Amt des Premierministers an einen Zivilisten ab, blieb aber nach wie vor Chef der Streitkräfte und Präsident. Seine Regierung erließ Gesetze zum Schutz von
Frauenrechten und das Verbot von sogenannten „Ehrenmorden“, die Familienmitglieder an Frauen begehen können, die des Ehebruchs verdächtigt werden. Dies erregte den Widerstand fundamentalistischer
Kreise.
Bis zum 11. September 2001 verfolgte Pervez Musharraf in Pakistan eine gemäßigt-nationale Politik. Dies änderte sich schlagartig nachdem die USA ihren Krieg in Afghanistan begannen und das
südliche Nachbarland immer mehr in ihren Feldzug gegen den Terror einbanden. Wie Musharraf erst kürzlich öffentlich bekannte, hatten US-Strategen Pakistan als eigentlichen Hort des islamischen
Fundamentalismus ausgemacht (die Taliban und Al-Qaida-Kämpfer wurden in pakistanischen Religionsschulen, sogenannten Madrasas, ausgebildet) und hochrangige US-Regierungsbeamte hatten ihm am
Telefon gedroht „Pakistan in die Steinzeit zurückzubomben“, wenn es nicht bald aktiv am „Krieg gegen den Terror“ der USA teilnehme. Dem General blieb also keine Wahl.
Hatte Musharraf bisher die erstarkten islamischen Fundamentlisten mit mehr oder weniger mäßigem Erfolg versucht, durch Lavieren und stellenweise durch Einbinden in die Regierungsverantwortung zu
neutralisieren, erregte sein offenes, von den USA gefordertes Vorgehen gegen Talibansympathisanten nun den Widerstand breiter Bevölkerungsschichten. Als George W. Bush seinen Irakfeldzug begann,
verhielt sich der General auffällig still, während 90% der Pakistanis den Krieg ablehnten und sogar 55% einen Kriegseintritt Pakistans auf Seiten des Irak befürworteten. Dies zeigt, wie groß der
Riß zwischen Regierungspolitik und Bevölkerung geworden ist.
Fazit:
Der islamische Fundamentalismus in Pakistan nimmt zu. Bei den Wahlen 2002 konnte die MMA, ein Bündnis von sechs islamischen, zum Teil fundamentalistischen, Parteien mit 45 Sitzen
drittstärkste Kraft im Parlament werden, die Wahlen 2008 werden die Islamisten weiter stärken.
Benazir Bhutto und die PPP machen sich als Hoffnungsträger für ein säkulares Pakistan gerade unglaubwürdig. Bhutto hat einen Deal mit Musharraf geschlossen: er amnestiert sie wegen ihrer
Korruptionsvergehen, sie unterstützt mit ihrer Partei, der stärksten des Landes übrigens, den General. Zur Zeit mischt Bhutto halbherzig bei den Massenprotesten gegen den Präsidenten mit, doch
ganz mit ihm brechen will sie offenbar auch nicht, was viele ihrer Anhänger brüskiert und ihren Kampf für die Demokratie fragwürdig erscheinen läßt. Ihre pro-amerikanische Haltung enttäuscht
viele Pakistanis, kommt sie an die Macht, wird sie auch die USA enttäuschen, denn sie wird wie immer taktieren und sich wie bisher gegen die Islamisten nicht durchsetzen können.
Nawaz Sharif hat mit seiner Erzfeindin Bhutto ein Bündnis geschlossen, um die Herrschaft des Generals zu bekämpfen und um die „Demokratie wiederherzustellen“. Dabei haben beide Oppositionsführer
selbst Dreck am Stecken und sind alles andere als demokratische Lichtgestalten. Bhutto ist außerdem Parteivorsitzende auf Lebenszeit und Sharif wird wohl die islamischen Fundamentalisten weiter
stärken, anstatt sie zu bekämpfen, was Pakistan weiter ins Chaos treiben dürfte.
Ein kleiner Hoffnungsschimmer ist dagegen Imran Khan, den die beiden „Erzdemokraten“ in ihr Bündnis holen wollen. Er gilt als unbestechlicher politischer Idealist. Doch seine Partei ist viel zu
klein, um sich gegen die PPP und die PML-N bei den Wahlen und im Bündnis zu behaupten.
Die Herrschaft von Pervez Musharraf hat unzweifelhaft ihren Zenit überschritten. Doch es stimmt eigentlich traurig, daß ein Militärherrscher mehr für Pakistan bewegt hat, als die gewählten
Regierungen. Fast schon unter Tränen hat der im Ausland als „Militärdiktator“ geschmähte Präsident die Verhängung des Ausnahmezustandes als notwendig im Kampf gegen den islamischen
Fundamentalismus (und gegen aufmüpfige Juristen, das verschweigt er) bezeichnet und erklärt, es gehe ihm „nur um die Demokratie, auch wenn man mir das nicht glaubt“.
Den Deal zur Machtteilung zwischen Bhutto und Musharraf haben die USA vermittelt. Nun sieht es so aus, als ob die Oppositionsführerin immer mehr davon abrückt. Die USA sehen den unvermindert
anhaltenden Protest gegen den Präsidenten mit Argwohn, obwohl dieser angekündigt hat, eine der Hauptforderungen der Opposition zu erfüllen – nämlich die Uniform an den Nagel zu hängen und als
ziviler Präsident weiter zu amtieren, schließlich hatte das Parlament ihn im Herbst erst im Amt bestätigt. Es wird so gar gemunkelt, daß die USA Kontakte zu hochrangigen Generälen aufgenommen
haben, um möglicherweise zu bewirken, daß das Militär Musharraf die Unterstützung entzieht. Dieser wird inzwischen auch gemerkt haben, wohin es führt, wenn man sich mit Leuten wie George W. Bush
und Dick Cheney einläßt: hilft man ihnen, wird man zum Dank später von ihnen verschlungen.
Der Drahtseilakt des Militär-Präsidenten Pakistans zwischen islamischen Terroristen und amerikanischen Terrorkriegern ist gescheitert. Was nach Musharraf kommt, ist ungewiß. Stabilität könnte nur
eine Regierung der nationalen Einheit unter Einbeziehung gemäßigter Islamisten bringen.
Kay Hanisch
Polnische Zwillinge
Warum die in Polen regierenden Kaczynski-Zwillinge aus Machtbesessenheit ihre eigene Regierung zerlegten
Im Jahr 2005 wurde die nationalkonservative Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) bei den Wahlen zum Sejm, dem polnischen Parlament, stärkste Fraktion. Dies erregte europaweit vor
allem deshalb Aufsehen, weil die Partei von zwei eineiigen Zwillingsbrüdern geführt wurde. Der eine, Jaroslaw Kaczynski war Parteichef und wurde später Premier, während sein Bruder Lech die
Wahl zum Staatspräsidenten gewann. Eine große moralische Erneuerung hatten die beiden tiefgläubigen Katholiken den Polen versprochen. Dies war durchaus gerechtfertigt, hatte sich doch nach der
Wende eine Mischung aus neoliberalen und postkommunistischen Seilschaften wie Mehltau über das Land gelegt. Denn die polnischen Kommunisten mussten dank der mächtigen Oppositionsbewegung schon im
Sommer 1989 abtreten, während ihre Schwesterparteien zu dieser Zeit in den anderen Ostblockstaaten noch relativ fest im Sattel saßen. Deshalb gab es in Polen einen Deal zwischen Regierung und
Opposition: Solidarnosc-Führer Lech Walesa und die Seinen übernahmen die Macht, mussten aber den Einfluß der Kommunisten in einigen politischen Kernbereichen akzeptieren.
Für die Kaczynskis war dies nur eine halbe Revolution und so machten sie den Einfluß vieler ehemaliger Kommunisten in Verwaltung, Wirtschaft, Militär etc. für die heutigen Probleme Polens
verantwortlich. In ihrem Wahlkampf wurden die Zwillinge von dem katholisch-ultra-konservativen und zum Teil antisemitischen Radiosender „Radio Maria“ massiv unterstützt.
Obwohl die PiS stärkste Fraktion wurde, war sie auf Koalitionspartner angewiesen. Doch weder die rechtsliberale „Bürgerplattform“ (PO), noch die gemäßigte Bauernpartei PSL wollten mit den
antikommunistischen Scharfmachern regieren.
Da fanden sich zwei politische Sonderlinge wie gerufen: die radikale Bauernprotestpartei „Samoobrona“ (zu deutsch: „Selbstverteidigung“) und die national-katholische „Liga der Polnischen Familien
(LPR).
Die eher linkspopulistische Samoobrona wird seit Jahren vom Politrabauken und Bauernführer Andrzej Lepper geführt, dessen Hauptziel der Schutz der polnischen Landwirte vor Billig-Importen aus der
EU ist. Diverse Vorstrafen machten Lepper bei den Wendeverlieren nur noch populärer. So organisierte er Straßensperren gegen mit Agrarprodukten beladene LKW-Konvois aus der EU, ließ in den
Bahnhöfen EU-Getreide auf die Gleise kippen oder karrte einen Bürgermeister mit der Schubkarre auf einen Misthaufen.
Die „Liga der Polnischen Familien“ hingegen ist noch einen Zacken schärfer als die Partei der Kaczynskis. Denn die meisten ihrer Anhänger sind erzkonservative national gesinnte Katholiken und
einigen Mitgliedern, besonders aus der ihr nahestehenden Jugendorganisation, werden Kontakte zur rechtsextremen Szene nachgesagt. Ihr Vorsitzender heißt Roman Giertych.
Als die Koalition ihre Arbeit aufnahm, machte sie, entgegen aller Unkenrufe, zunächst keinen so schlechten Eindruck. Das EU-Schreckgespenst Lepper erwies sich als pragmatischer wie erwartet und
die Regierung stand sowohl dem anti-demokratischen EU-Verfassungsvertrag, als auch dem Wunsch der USA nach Stationierung von US-Raketen in Polen ablehnend gegenüber. Es wurden sogar stärker die
Arbeitnehmerrechte berücksichtigt, z.B. in dem man die „Liberalisierung“ der Ladenöffnungszeiten am Wochenende verhinderte.
Die Sache ging gut, bis PiS- Parteichef Jaroslaw Kaczynski seinen Parteifreund Kazimierz Marcinkiewicz im Juli 2006 als Premier ablöste und selbst das Ruder übernahm. Denn der machtbewusste
Kaczynski empfand es nicht mehr für nötig, bestimmte Entscheidungen mit seinen Koalitionspartnern abzusprechen. Als er den USA versprach, 1.000 polnische Soldaten nach Afghanistan zu schicken, um
George W. Bush bei seinem „Anti-Terror-Krieg“ zu unterstützen, schrieen die Koalitionspartner auf und der wortgewaltige Landwirtschaftsminister und Populist Lepper drohte damit, den Haushaltsplan
scheitern zu lassen, sollte die Regierung Truppen in den Krieg senden.
Doch die us-freundlichen Zwillinge wollten sich nicht erpressen lassen und so entließ der Premier seinen Minister für Landwirtschaft. Doch wenige Wochen später einigten sich die Streithähne unter
Vermittlung der LPR auf eine neue Koalition, Lepper durfte wieder auf seinen alten Posten.
Das die neue koalitionsinterne Harmonie nicht von Dauer sein würde, war den meisten Polen sofort klar. Auf der einen Seite der Polit-Rowdy Lepper mit seinen ständigen Provokationen, auf der
anderen Seite die Brüder Kaczynski, die als Anhänger der Philosophie Niccolo Machiavellis galten. Machiavelli, dessen Werk „Der Fürst“ so eine Art Handbuch nach dem Prinzip „Wie vermehre ich
meine Macht auf Kosten meiner Feinde“ ist, wurde von vielen autoritären Herrschern, wie z.B. Zaires Diktator Mobutu Sese Seko geschätzt und gelesen.
Von Anfang an verfolgten die Kaczynskis eine Politik zum Ausbau ihrer Macht und trachteten danach, die Mitglieder, Abgeordneten und Wähler ihrer beiden Koalitionspartner aufzusaugen und die PiS
zu einer großen rechts-populistischen Sammelpartei zu machen.
Deshalb versuchten sie, ihre Koalitionspartner zu schwächen. Bildungsminister Giertych von der LPR ließ der Premier ins offene Messer laufen: der erzkonservativ-nationale Politiker hatte seine
Vorstellungen zur Bildungspolitik publik gemacht. So sollten Werke von Goethe und Kafka aus dem Lehrplan verbannt werden zugunsten polnischer „patriotischer“ Literaten und das Schulfach
„Patriotismus“ geschaffen werden. Die Kaczynskis wussten, dass im liberal geprägten Europa ein Sturm der Entrüstung über Giertych hereinbrechen würde, die z.T. in westlicher Hand befindlichen
Massenmedien würden für die „richtige“ Stimmung in der Stadtbevölkerung sorgen. Gleichzeitig wurden Fotos von Mitgliedern der LPR-nahen Jugendorganisation „Allpolnische Jugend“, die auf einem
Lagerfeuer-Besäufnis den Hitlergruß zeigten, in die Medien lanciert. Dies führte u.a. dazu, dass sich die LPR von „ihrer“ Jugendorganisation trennen musste und so einen Großteil ihrer Basis
verlor. Die so unmöglich gemachte LPR sank in Wählerumfragen auf 2%.
Bei der Samoobrona, mit ca. 500.000 Mitgliedern eine der stärksten Parteien Polens, versuchten die Zwillinge, den Parteiführer Lepper zu treffen, denn ohne ihr Zugpferd wäre die Partei
orientierungslos. Nachdem erfolglos versucht wurde, Lepper in einen Sexskandal zu verwickeln, begann die PiS Abgeordnete der Samoobrona abzuwerben, wie sie es zuvor bei der LPR getan hatte. Doch
die Bauernpartei machte es den Kaczynskis diesmal nicht so leicht. Die Samoobrona-Abgeordnete Renata Beger, die zum Schein auf ein Angebot zum Parteiwechsel einging, ließ sich vom Privatsender
TVN mit versteckter Kamera beim Bestechungsversuch durch Premier Kaczynskis Kanzleichef Adam Lipinski (PiS) filmen. Die Veröffentlichung des Videos sorgte für einen Skandal, doch die
Zwillinge konnten auch diesen aussitzen und Adam Lipinski verteidigte dreist sein Vorgehen damit, es handele sich um ein normales Verfahren, dass von Regierungen in aller Welt praktiziert werde.
An welchen Regierungen sich Lipinski orientierte, sagte er aber nicht.
Dennoch schaffte die PiS mit ihrer Abwerbe- und Demontagestrategie der Koalitionspartner die Fraktion der Samoobrona von 56 auf 46 und die der LPR von 34 auf 29 zu reduzieren.
Für neuen Unmut in der Koalition sorgte bald darauf das Ansinnen von Staatspräsident und Premier, den USA doch noch die Stationierung von Abwehrraketen in Polen zu erlauben, um anfliegende
Raketen aus sogenannten „Schurkenstaaten“ wie Iran, „die Europa angreifen wollen“, abzufangen. Die iranische Regierung nannte diese US-Argumentation „den Witz des Jahrhunderts“ und es war klar,
dass die Raketen lediglich eine Provokation und Drohkulisse gegenüber Russland darstellen sollten. Der sozialdemokratische Ministerpräsident der Slowakei, Robert Fico, äußerte harsche Kritik an
dem Vorgehen der USA, ebenso wie die Regierungen in Weißrußland und der Ukraine. Selbst die sonst so willfährige bundesdeutsche Regierung fand kritische Töne. Für den Russland-Freund Lepper, der
zudem Sympathien für Weißrußlands Diktator Alexander Lukaschenko hegt, war dies eine Steilvorlage. Er verlangte einen Volksentscheid über die Stationierung der Raketen. „Wenn das
Raketenschutzschild entsteht, dann wird jedes Handy im Land überwacht werden...“, argumentierte der Bauernführer. „Je mehr Details wir erfahren, desto entschiedener lehnen wir dieses Vorhaben
ab.“
In der Tat hatten die Zwillinge wieder einmal, ohne ihre Koalitionspartner angemessen zubeteiligen, entschieden. Bei einem Besuch in Washington erklärte Präsident Lech Kaczynski, sich
stärker am USA-geführten „Krieg gegen den Terror“ zu beteiligen, was Samoobrona und LPR ablehnten.
Lepper, der bei der Präsidentenwahl 2005 den dritten Platz belegt hatte, kündigte seine erneute Kandidatur für das höchste Staatsamt 2010 an. Dies würde bedeuten, dass er unter Umständen das
Brüderchen des Premiers vom Thron stoßen könnte. Zumal sich der Präsident gerade international lächerlich gemacht hatte, in dem er für Polen in der EU ein gesondertes Stimmrecht forderte und
erklärte, man müsse die auf polnischer Seite Gefallenen des Zweiten Weltkrieges bei der Stimmenanzahl berücksichtigen. Hingegen erklärte Lepper, er sei komplett gegen die EU-Verfassung (die eine
militärische Aufrüstung und das neoliberale Wirtschaftssystem festschreibt) und brachte allmählich die Umfragewerte seiner Partei wieder zum Steigen.
Zur Bekämpfung der postkommunistischen Seilschaften und was sie dafür halten, haben die Zwillinge extra die Anti-Korruptions-Behörde CBA gegründet. Das problematische dabei ist, dass diese
Behörde dem Premierminister direkt unterstellt ist und keiner richtigen öffentlichen Kontrolle unterliegt. So konnte Jaroslaw Kaczynski die CBA benutzen, um seinen Partner und gleichzeitigen
Widersacher Andrzej Lepper zur Strecke zu bringen. Die CBA-Ermittler inszenierten mit zwei einschlägig als dubios bekannten „Geschäftsleuten“ einen fingierten Deal. Über diese Leute sollte ein
Antrag zur Umwidmung von Agrarland in Baugrundstücke auf Leppers Schreibtisch zur Unterschrift landen. Hätte der Landwirtschaftsminister unterschrieben, hätte ihn die CBA auf frischer Tat
ertappen und medienwirksam vor laufender Kamera abführen wollen. Indessen sollten die beiden von der CBA „angeheuerten“ Geschäftsleute Lepper eine knappe Million Zloty aufs Konto überweisen und
so den Beweis für die Bestechlichkeit des unbequemen Politikers liefern. Doch die Sache flog auf, denn Lepper wurde gewarnt und Teile des Manövers sickerten an die Presse durch. Dennoch entließ
der Premier seinen Landwirtschaftsminister wie geplant, obwohl er dies nun schwer begründen konnte.
Die Streithähne fielen nun erst recht übereinander her. Der Premier verteidigte seine Polizeistaatsmethoden und faselte etwas von „moralischer Reinigung“, der Bauernführer warf ihm hingegen vor,
er benehme sich wie ein „Diktator“. Nun schaltete sich auch LPR-Chef Roman Giertych ein, stellte sich auf die Seite Leppers und warnte vor totalitären Strukturen in Polen.
Die Kaczynskis hatten zwar eine Niederlage erlitten, denn ihr Komplott war ja aufgeflogen, dennoch ließen diese Ereignisse die Umfrageergebnisse von Samoobrona und LPR wieder unter die 5%-Hürde
rutschen. Da bei einem Auszug aus der Koalition Neuwahlen drohten und beide Parteien nicht mehr ins Parlament kommen würden zwangen die Zwillinge die beiden gedemütigten Parteiführer, dafür zur
sorgen, dass ihre Fraktionen in der Koalition blieben. Denn die PiS lockte bereits wankelmütige LPR- und Samoobrona-Abgeordnete mit sicheren Listenplätzen.
Nun mussten beide Parteien fast alles mitmachen, was die PiS durchsetzen wollte, um den gefürchteten Neuwahlen zu entgehen – eine weitere absolute Demütigung. Um sich dieser Erpressung zu
entziehen und gleichzeitig die 5%-Hürde zu umschiffen, beschlossen die beiden Parteien die Gründung einer gemeinsamen neuen Bewegung mit dem Namen „Liga und Samoobrona“, abgekürzt LiS, was auf
polnisch „Fuchs“ bedeutet. In dieser Überpartei sollten beide Gruppierungen ihre jeweilige Identität behalten, denn abgesehen von der Außen- und Wirtschaftspolitik bestanden nicht viele
Gemeinsamkeiten.
Kurz darauf entließ der Premier seinen parteilosen Innenminister Janusz Kaczmarek. Wie sich herausstellte war er es, der Lepper die Warnung vor dem CBA-Komplott zukommen ließ. Offenbar konnte es
der als kaczynski-treu geltende Minister nicht mehr ertragen, wie die Zwillinge rechtsstaatliche Grundregeln immer mehr aushebelten. Nach seiner Entlassung plauderte er aus dem Nähkästchen: der
Einsatz der Strafverfolgungsbehörden gegen politische Gegner war nicht etwa die Ausnahme, sondern die Regel. Journalisten und Staatsanwälte wurden ebenso abgehört wie prominente Regierungs- und
Oppositionspolitiker (wie PO-Chef Donald Tusk oder Ex-Präsident Lech Walesa). Auch die eigenen Parteifreunde ließen die Kaczynskis und ihr Kettenhund, der Justizminister Zbigniew Ziobro
verwanzen. Und wenn ein Staatsanwalt nicht, wie gewünscht, die Ermittlungen gegen unliebsame Politiker aufnahmen wollte, setzte ihn Ziobro massiv unter Druck, berichtete der entlassene
Innenminister.
Die Kaczynskis revanchierten sich für diese Offenherzigkeit, in dem sie den gesprächigen Ex-Innenminister Kaczmarek umgehend inhaftieren ließen. Allerdings mussten sie ihn kurz darauf wieder
laufen lassen.
Die Koalition zwischen LPR, Samoobrona und PiS zerbrach danach endgültig.
Am 21. Oktober stehen nun Neuwahlen an und es sieht nicht gut aus. Obwohl die Kaczynski-Regierung nicht nur eine absolut chaotische Bilanz hinterlassen hat, sondern dank der machiavellistischen
Politik der Zwillinge Polen auf dem Weg zu einer Art Bananenrepublik ist, liegt die PiS hoch im Kurs bei den Wählern. Mit geschickter Sozialdemagogie, dem Schüren antideutscher Ressentiments und
dank propagandistischer Unterstützung, des selbst vom Vatikan kritisierten, fundamentalistisch-katholischen „Radio Maria“ konnte der Premier bei den ärmeren und ungebildeten Bevölkerungsschichten
punkten. Fast gleichauf in der Wählerumfrage liegt die neoliberale, EU-freundliche Bürgerplattform (PO). Die Linke ist marginalisiert, ihr politisches Zugpferd, Ex-Präsident Alexander Kwasniewski
kämpft gegen (offensichtlich unbewiesene) „Stasi“-Vorwürfe, der Einzug von „Liga und Samoobrona“ ins Parlament ist ungewiß. Unter diesen Voraussetzungen ist eine Koalition zwischen der
Bürgerplattform und der Kaczynski-Partei PiS sehr wahrscheinlich. Beide Parteien hatten ja bereits nach den Wahlen 2005 Koalitionsgespräche geführt. Sollte dies der Fall sein, wird Polen
außenpolitisch wesentlich USA- und EU-freundlicher auftreten.
Die einzige Chance, die demokratie- friedens- und menschenfeindliche EU-Verfassung von polnischer Seite aus zu stoppen, wäre die Regierungsbeteiligung einer starken Samoobrona-Faktion. Doch
derzeit ist nicht gewiß, ob Leppers Truppe den Einzug ins Parlament schafft und die andere große Linkspartei LiD von Alexander Kwasniewski gilt als EU-Befürworter.
Wir Deutschen können also nicht erwarten, dass die Polen für uns die Kartoffeln aus dem Feuer holen und uns zurücklehnen, wie wir es nach den EU-Referenden in Frankreich und den Niederlande getan
haben. Wir müssen selbst politisch aktiv werden, wenn wir verhindern wollen, dass uns von Brüssel aus eine anti-demokratische Verfassung übergestülpt wird, die den einzelnen EU-Staaten das
Wirtschaftssystem diktiert und eine militärische Aufrüstung sowie Sozialdumping fordert. Mancher mag vielleicht glauben, dass dies an ihm vorüber geht, wie vieler Unsinn, der aus Brüssel kam.
Doch die EU-Verfassung besitzt eine andere Qualität! Ihre Forderungen haben Verfassungsrang und sind damit für alle Mitgliedsstaaten bindend! Über das Wirtschafts- Rechts- und Sozialsystem der
BRD z.B. wird dann nicht mehr in Deutschland entschieden!
Sollte es in Polen zu einer Koalition zwischen PO und PiS kommen, so werden die Kaczynskis der PO zu Liebe höchstwahrscheinlich ihre starre Haltung gegenüber der EU-Verfassung aufgeben, ebenso
wie die Politik zum Schutz der ärmeren Bevölkerungsschichten. Dafür werden sie von der ebenfalls wertkonservativen PO Unterstützung für ihre „moralische Reinigung“ Polens und die Errichtung ihrer
„Vierten Republik“ bekommen, denn ihre antikommunistische Hetzjagd und die Etablierung national-katholischen Gedankengutes in der Gesellschaft dürfte den Kaczynskis wichtiger sein, als ihr
Sozialpopulismus, der wohl hauptsächlich dazu diente, Wählerstimmen von LPR und Samoobrona abzuziehen.
Und Lepper? Ob der angeschlagene Bauernführer und seine Polit-Guerilla wieder ins Parlament einziehen, wird sich zeigen. Ansonsten bleibt ihm noch ein anderer Kampfplatz, auf dem er mehr
Erfahrung hat, als im Parlament: die Straße!
Kay Hanisch
Merkel stänkert gegen Fürstentum
Kanzlerin Merkel stellt Liechtenstein als „Steuerschlupfloch“ an den Pranger, um von der Unfähigkeit ihrer Regierung
abzulenken.
Nach dem der ehemalige deutsche Post-Chef Klaus Zumwinkel wegen Steuerhinterziehung verhaftet wurde, weil er sein Geld in einer Stiftung in
Liechtenstein angelegt hatte, erhob sich in Deutschland ein Geschrei und die Bundesregierung plus die ihr treu ergebenen Medien entfesselten geradezu eine Hetzkampagne gegen den in den Alpen
gelegenen Zwergstaat.
Bundeskanzlerin Merkel, die für Leute wie den US-Präsidenten und Kriegsverbrecher George W. Bush sonst äußerst freundliche Worte findet, kanzelte Otmar Hasler, den Regierungschef des Fürstentums,
bei dessen Besuch in Merkels Amtssitz ab, man erwarte gefälligst eine „konstruktive Mitarbeit“ und drohte unterschwellig mit einer extremen Verschlechterung der Beziehungen zwischen beiden
Ländern. Geradeso, als sei es die Schuld Liechtensteins, wenn es in Deutschland Leute gibt, die viel Geld haben und immer noch mehr haben möchten.
Auch Politiker anderer Bundestagsparteien meldeten sich zu Wort. SPD-Chef Kurt Beck forderte, Liechtenstein solle „sich benehmen, wie unter zivilisierten Staaten üblich“, GRÜNEN-Politiker Fritz
Kuhn erklärte, das Fürstentum handele „faktisch wie eine Räuberhöhle“. Er vergaß zu erwähnen, daß die Räuber, die ihre Beute in die „Höhle“ Liechtenstein schleppen, „verdiente Mitglieder“ des
deutschen Etablishments sind. Soviel also zum Niveau der Kritik.
Liechtenstein sei eine Steueroase, die man trocken legen müsse, so die landauf, landab wiederholte Formulierung in deutschen Medien. Man könnte fast meinen, es sein Aufgabe eines anderen
souveränen Staates, sein Steuer- und Rechtssystem an das Deutschlands anzupassen. Das Fürstentum selbst hat sowieso ein anderes Selbstverständnis: es sieht sich nicht als Steueroase, sondern als
ganz normalen Staat inmitten von „Steuerwüsten“.
Die schrille Stimmung, die in Deutschland von Politik und Medien gegen die Mini-Monarchie geschürt und mit der die Regierung offenbar versucht, die deutschen Bürger für sich einzunehmen, dient
nur dazu, von den Fehlern der Bundesregierung abzulenken:
1.) Es wurde seit Jahren versäumt, wirksame Gesetze gegen Steuer- und Kapitalflucht ins Ausland zu erlassen.
2.) Deutschland steckt selbst bis zum Hals im Sumpf. Die Beweise für Zumwinkels Verhaftung wurden von einen ehemaligen Mitarbeiter der Liechtensteiner Bank LGT, der angeblich Heiner K. heißen
soll und der im Fürstentum wegen des Datendiebstahls bereits rechtskräftig verurteilt wurde, gegen ca. 5 Millionen Euro (alles deutsche Steuergelder!) an den deutschen Bundesnachrichtendienst
(BND) verkauft. Die Beweise kamen also durch eine kriminelle Handlung ans Tageslicht und ihr Verkauf an den deutschen Geheimdienst war ebenfalls eine kriminelle Handlung!
3.) Moralisch hat Frau Merkel keinerlei Recht, das Fürstentum zu kritisieren, weil es Steuerflüchtlingen Unterschlupf gewährleistet. Denn es war ihre Partei CDU, die noch vor wenigen Jahren
selbst Millionen in schwarzen Konten im Ausland anlegte. Führende Politiker bei dieser Aktion wurden später allenfalls zu symbolischen Strafen verurteilt.
Wie die regierungsnahe Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22.2.2008 berichtet, sind offenbar auch deutsche Politiker in diesen Skandal verwickelt. Es soll sich um ehemalige Bundestagsabgeordnete
von CDU, FDP und eventuell SPD handeln, deren Namen ebenfalls auf der vom BND angekauften Liste stehen. Dies erklärt auch warum die Regierung Merkel das Fürstentum an den Pranger stellt! Mit
seiner laxen Steuergesetzgebung provoziere Liechtenstein geradezu die ach so redlichen deutschen Politiker ihr Geld ins Ausland zu schaffen. Deshalb sind an der Steuerhinterzeihung der Deutschen
diese nicht selbst schuld, sondern die Liechtensteiner!
Das herrschende Parteienkartell würde sonst in Erklärungsnöte kommen. Wie soll es der Öffentlichkeit begreiflich machen, daß Angehörige des Etablishments, Mitglieder, Spezis und Amigos der großen
Parteien am Fiskus vorbei ihr Geld ins Ausland schaffen?
Natürlich ist und bleibt Liechtenstein aus deutscher Sicht ein „Steuerparadies“. Aber in den letzten Jahren hat das Land enorme Anstrengungen unternommen, um sich internationalen Standards
anzupassen.
Die Polizei, die Staatsanwaltschaft und die Gerichte wurden mit international angesehenen Finanzspezialisten verstärkt. Es wurde eine integrierte Finanzmarktaufsicht geschaffen, europäische
Regulierungsstandards wurden übernommen, seit 2007 gibt das Fürstentum Rechtshilfe bei Mehrwertssteuerbetrug.
Auf die Angriffe der Merkel-Regierung reagierte Erbprinz Alois, der die Amtsgeschäfte des liechtensteinischen Fürsten führt, ebenfalls scharf. Er forderte, daß Deutschland die Souveränität eines
befreundeten Landes respektiert und sich nicht unter Bruch dessen Gesetze Daten mit zwielichtigen Methoden beschaffe. Der Prinz erklärte u.a. : „Wie ich gestern den deutschen Medien entnehmen
konnte, hat eine internationale Studie das deutsche Steuersystem als das schlechteste weltweit eingestuft, noch nach Haiti.“
Auch Franz Hermann Brüner, Generaldirektor des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung hält die Vorwürfe gegen das Fürstentum für überzogen: „Ich meine, daß Liechtenstein hier in ein
völlig falsches Licht gesetzt wird.“
Bleibt also eine Bundesregierung, die viel Staub aufwirbelt, allerdings erst, nachdem ruchbar wurde, daß einige ihrer Hofschranzen in die Affäre verwickelt sind.
Das Verhalten von Kanzlerin Merkel gegenüber einem befreundeten Staat und sei er noch so klein, ist untragbar. Ihre Regierung und die Vorgängerregierungen, die sich ebenfalls aus dem Kartell der
Lobby-Parteien rekrutierten, haben versäumt, in Deutschland ein einfaches und überschaubares Steuerrecht zu entwickeln, wirksame Gesetze gegen Steuer- und Kapitalflucht aus Deutschland zu
erlassen und wenigstens im Rahmen der offiziellen neoliberalen Ideologie nach intelligenten Auswegen zu suchen (so muß zum Beispiel jeder US-Bürger, egal wo er sich in der Welt aufhält, den
vollen Steuersatz an sein Heimatland überweisen, während sich die BRD beim Steuereintreiben nur auf ihr Hoheitsgebiet beschränkt. Laut Fachleuten gehen dem deutschen Staat so jährlich mindestens
25 Mrd. Euro verloren)
das konstruktive und vertrauensvolle Gespräch mit der liechtensteinischen Regierung zu suchen und Lösungen zu erörtern, die den Interessen beider Länder gerecht wird.
Auch in der Zumwinkel-Liechtenstein-Affäre, die noch lange nicht ausgestanden ist, zeigt sich wie unfähig die deutsche Regierung ist, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme
Deutschlands anzugehen. Während der Unmut in der Bevölkerung wächst, baut sie stattdessen ihren Repressionsapparat aus.
Kay Hanisch
STATT Partei – DIE UNABHÄNGIGEN
Putsch im Tschad abgewendet
Wie so oft verflucht knapp entkam Tschads Präsident seinem Sturz. Eine Machtübernahme der Rebellen hätte das AUS für die internationale Schutztruppe für die
Darfur-Flüchtlinge bedeutet und die Region weiter destabilisiert.
Nun endlich beginnt die Europäische Union, eine multinationale Schutztruppe (EUFOR) mit 3.700 Mann
in den Tschad zu entsenden, um die Flüchtlingslager der aus dem Sudan geflohenen Bürgerkriegsopfer zu sichern. Denn ihre Feinde im dem Sudan, die gefürchteten Djanjawid-Milizen, überqueren selbst
die Grenze in den Tschad, um diese Leute in den Lagern zu töten. Die tschadische Armee ist gegen diese Angriffe fast machtlos, da sie in der Region selbst schwer gegen einheimische Rebellen zu
kämpfen hat.
Und genau diese Rebellen werden vom Sudan unterstützt und haben auch ihre Rückzugsbasen im Nachbarland. Die Stationierung einer europäischen Schutztruppe würde die Grenze weniger durchlässig
machen und so die Nachschubwege für die Rebellen austrocknen.
Deshalb versuchten Anfang Februar drei der Rebellenbewegungen, die Union der Kräfte für Demokratie und Entwicklung (UFDD), die Sammlung der Kräfte für den Wandel (RFC) und die
Splittergruppe UFDD-Fondamentale, die sich alle drei einen gemeinsamen Militärstab gegeben haben, in einem gewaltigen Kraftakt, die tschadische Regierung des Präsidenten Idriss Déby noch vor der
Ankunft der EUFOR-Truppe in der Hauptstadt N´Djamena zu stürzen. Ungefähr 4.500 Rebellen rasten mit ca. 300 Fahrzeugen quer durch den riesigen Wüstenstaat, um die Regierungstruppen in einem
Überraschungsangriff zu überrumpeln.
Staatspräsident Idriss Déby hat zahlreiche Putsche und Anschläge überstanden und gilt als das größte militärische Genie, das je in einem afrikanischen Präsidentensessel gesessen hat, was wohl
auch der Grund sein dürfte, warum er noch an der Macht und am Leben ist. Politisch ist seine Bilanz aber eher traurig. Aus dem umjubelten siegreichen Kriegsherren, der 1990 den Diktator Hissen
Habré vertrieb und der erste frei und demokratisch gewählte Präsident des Tschad wurde, ist ein von Rebellen und eifersüchtigen Günstlingen Getriebener geworden, der nicht von der Macht lassen
kann. In den 90iger Jahren hingegen, als Déby Oppositionsparteien und eine freie Presse zuließ und er ehrgeizige Entwicklungsprogramme entwarf (so sollte die Wüste mit Baumpflanzaktionen
zurückgedrängt werden und der Tschad mittels Erdölförderung von der Liste der allerärmsten Staaten verschwinden) applaudierte ihm nicht nur der Westen.
Die Rebellen durchbrachen am 1. Februar mit ihrem riesigen Konvoi den Verteidigungsring der Regierungstruppen, die sich ihnen mit Déby als Feldkommandant an der Spitze in den Weg gestellt hatten
und drangen in die Hauptstadt ein. Mehrtägige Kämpfe in der Hauptstadt setzten ein. Déby floh in seinen Palast, in dem er sich verbarrikadierte. Alle Versuche seiner französischen Gönner, ihn zu
überreden, sich ausfliegen zu lassen, tat er mit der Bemerkung ab, er leite schließlich die Verteidigung, obwohl die Rebellen schon wenige hundert Meter vor den Präsidentenpalast gerückt
waren.
Der Westen und die internationale Presse hatten Déby schon abgeschrieben, einige verbreiteten Gerüchte über seinen Tod, als die Rebellen sich plötzlich aus der Hauptstadt zurückzogen. Ihnen war
schlicht und ergreifend die Munition ausgegangen, während Débys neu erworbene russische Kampfhubschrauber über 100 Rebellenfahrzeuge in Brand geschossen hatten.
Zwar ist die tschadische Regierung extrem geschwächt, viele ihrer Soldaten sind während der Kämpfe desertiert, einige Minister haben sich abgesetzt und die Rebellen sammeln sich in der zentral
gelegenen, strategisch wichtigen Stadt Mongo, dennoch nun kann die Stationierung der EUFOR beginnen.
Die Rebellen werden zunächst keinen Angriff mehr auf die Hauptstadt wagen, da Frankreich angekündigt, die „gewählte Regierung“ zu verteidigen und der UN-Sicherheitsrat Paris dafür auch ein Mandat
erteilt hat. Zudem haben Soldaten der in Darfur kämpfenden Rebellenbewegung JEM die Grenze überschritten, um Déby mit ihren Truppen beizustehen.
Die Rebellen erklärten in der Tat eine Feuerpause und zeigten sich bereit zu Verhandlungen. Bleibt zu hoffen, daß die Regierung in N´Djamena diese ausgestreckte Hand ergreift und nicht versucht,
diese Angelegenheit mit den Franzosen im Rücken militärisch zu Ende zu bringen. Als Déby 1990 die Macht übernahm beendete er den Bürgerkrieg, in dem er eine Nationalkonferenz ausrief und die
widerstreitenden Gruppen an den Verhandlungstisch brachte. Es wäre gut, wenn er sich dieser Zeiten erinnern würde, denn nationale Versöhnung und Frieden – das ist das, was der Tschad am meisten
braucht!
Kay Hanisch
Ärger in Tibet
Seltsamer Weise kurz vor den olympischen Spielen entdeckt der Westen, daß Tibet, welches mühsam seine Unabhängigkeit vom zerfallenden chinesischen Kaiserreich erlangte, 1950
wieder von der VR China besetzt und einverleibt wurde. Als die Tibeter damals um internationale Hilfe riefen, fand sich keiner ihrer westlichen Freunde – weder Großbritannien noch die USA –
bereit, etwas zur Verteidigung der tibetischen Unabhängigkeit zu tun. Lediglich die winzige Bananerepublik El Salvador brachte das Anliegen Tibets, auf die drohende Vereinnahmung durch China
hinzuweisen, vor die UNO. Tibets „Freunde“ Indien und England verhinderten damals einen Beschluß der Staatengemeinschaft.
Inzwischen haben die USA die gegenwärtige Lage analysiert und festgestellt, daß sie in 20-30 Jahren von China als Weltmacht Nr. 1 abgelöst werden. Und nun suchen sie nach Mitteln um den Aufstieg
Chinas, wenn schon nicht zu verhindern, wenigstens zu verlangsamen und zu bremsen.
Immer wieder wurde der Freiheitskampf und Freiheitswille der Tibeter vom Westen angestachelt und dann wieder mißbraucht, um das kommunistische China unter Druck zu setzen und zu schwächen. Immer
wieder wurden die Tibeter mit ihrem – größtenteils gewaltlosen – Kampf fallengelassen, wenn es dem Westen opportun schien, denn mit China befand sich ja während des Kalten Krieges ein
hervorragender Spaltpilz im kommunistischen Lager, während man heute mit Peking die dicksten Geschäfte machen kann.
Auch die Solidarität der westlichen Politiker mit dem Dalai Lama, seinen Getreuen in der Exilregierung und in der Nationaldemokratischen Partei Tibets und anderen Gruppierungen wird bei Zeiten
wieder ad acta gelegt werden, denn an China kommt wirtschaftlich heute keine Handelsnation mehr vorbei.
Andere radikalere tibetische Exil-Gruppen, wie der Tibetische Jugendkongress finden die Forderungen des Dalai Lama nach „kultureller Autonomie“ und Gewaltlosigkeit für nicht mehr effektiv und
zeitgemäß. Peking hat den Dalai Lama und dessen Exilregierung trotz deren Kompromißbereitschaft nie wirklich als Verhandlungspartner akzeptiert. Deshalb wollen die „Radikalen“ nun eine härtere
Gangart gegenüber Peking einschlagen. Der Westen wird dies zu nutzen wissen. Allerdings machen sich die Tibeter selbst keine Illusionen darüber, daß sie vom Westen benutzt werden. Doch sind die
Interessen im Moment deckungsgleich: Die Tibeter führen ihren berechtigten Kampf um ihre Freiheitsrechte, der Westen will China schwächen.
Würde China Tibet die gewünschte Autonomie gewähren und die Tibeter würden sich letztendlich damit zufrieden geben (was angesichts der Versöhnlichkeit des Dalai Lama und der tibetischen
spirituell begründeten Gelassenheit sehr gut möglich ist), wird der Westen nach anderen Mitteln suchen, um China zu schwächen. Dabei bietet sich die im Nordwesten der Volksrepublik siedelnde
muslimische Minderheit der Uiguren an, denn auch unter ihr wächst der Widerstand gegen das Regime aus Peking.
Die Tibeter sind kulturell, religiös und politisch ein Fremdkörper in China. Wenn China Interesse an langfristiger Stabilität hat, wie es immer wieder behauptet, kann es diese nur erlangen, wenn
es die Tibeter wirklich in die Nation integriert und ihnen die nötige Freiheit für die eigene Lebensweise und für politische Teilhabe läßt. Mit einem Gegenspieler, der auf Dialog und Versöhnung
setzt, stehen die Chancen gut, ein Übereinkommen zu erzielen. Denn eine Politik, bei der „die Macht aus den Gewehrläufen kommt“ (Mao Tse-tung ) kann nicht Grundlage des 21. Jahrhunderts
sein.
Kay Hanisch
STATT Partei –DIE UNABHÄNGIGEN April 2008
Die irischen Wähler haben den EU-Vertrag abgelehnt und die europäischen Staaten so vor einer EU-Diktatur der Bürokraten und Konzerne bewahrt – vorerst! Denn die Anhänger des sogenannten
„Vertrages von Lissabon“ werden so schnell nicht aufgeben und weiter an ihrem autoritären Konzept arbeiten, wie die Aussagen deutscher und europäischer Spitzenpolitiker zeigen. Die deutschen
Medien üben sich schon in Propaganda.
Mit 53,4% haben die irischen Bürger den EU-Vertrag abgelehnt, ein Dokument, daß die EU-Staaten zu fortwährender militärischer Aufrüstung verpflichtet und das neoliberale
Wirtschaftsmodell für immer und ewig als für alle EU-Länder bindend festgeschrieben hätte. Zahlreiche irische Oppositionsgruppierungen und zivilgesellschaftliche Bewegungen hatten gegen den
Vertrag rebelliert. Sowohl die Friedensbewegung, als auch Basisdemokraten, kirchliche Gruppen, die Irische Allianz für Frieden und Neutralität, linke und national orientierte Demokraten,
die Sozialistische Arbeiterpartei (SWP), abtrünnige Grüne usw. wehrten sich dagegen, daß die Inselrepublik von einem Europa der Konzerninteressen und des Militarismus vereinnahmt wurde.
Großen Anteil an der erfolgreichen „Vote-No“-Kampagne haben die links-republikanische Partei Sinn Féin (auf deutsch: „Wir selbst“) und der EU-kritische Dachverband Libertas des
Multi-Millionärs Declan Ganley.
Während Sinn Féin im britischen Nordirland, wo sie lange Zeit als politisch mit der Untergrundarmee IRA verbunden galt, zweitstärkste Kraft im Parlament ist und heute mit ihren protestantischen
Erzfeinden von einst eine Koalition bildet, ist die Partei in der Republik Irland keine große Nummer und hält nur vier von 166 Parlamentssitzen. Der erfolgreiche Kampf gegen den EU-Vertrag hat
die Partei aber gestärkt und ihre Umfragewerte nach oben schnellen lassen. Als Gastredner warf sich auch Gerry Adams, der populäre Präsident von Sinn Féin aus Nordirland in die Schlacht.
Die Gegner des EU-Vertrages wurden von Anfang an verleumdet. Sie würden Falschinformationen verbreiten hieß es, wenn sie auf die antidemokratischen Elemente des Vertrages aufmerksam machten. Sie
wurden als „Linksextremisten“, „Nationalisten“ oder „rechts-katholische Abtreibungsgegner“ bezeichnet. Der Libertas-Gründer Declan Ganley, der eine us-amerikanische Ehefrau hat, wurde als
„CIA-Agent“ hingestellt. All diese Beschuldigungen zeigen, daß es die neoliberalen Fanatiker von vornherein schwer hatten, mit wirklichen Argumente die Bedenken der Vertragsgegner zu entkräften.
Bei Gerry Adams Vortrag in Dublin warf ein Politiker der Regierungspartei Fianna Fáil (zu deutsch: „Soldaten des Schicksals“) Adams nicht näher definierte „Ungereimtheiten“ vor, ohne dann
zu erklären, was denn an Adams Argumenten nicht stimme.
Eine „übergroße“ Koalition von Regierungsparteien und Opposition im Parlament unterstützten den EU-Vertrag. Sowohl die konservativ-nationale Fianna Fáil, die von Irlands Unabhängigkeitshelden
Eamon de Valera (Premier zwischen 1932-59, Staatspräsident von 1959-73) gegründet wurde, als auch ihr Gegenstück und schärfster Konkurrent, die christdemokratisch-konservative Fine Gael
(„Familie der Iren“) trommelten massiv für den Lissabonvertrag. Auch die sozialdemokratische Labour-Party und die in die Koalition mit der Fianna Fáil eingebundenen rechtsliberalen „Progressiven
Demokraten“ und Grünen unterstützten die „Yes“-Kampagne, wobei sich aber bei den Grünen viele Basisgruppen gegen den EU-Vertrag wandten und in offenen Widerspruch zu ihrer Parteiführung
gingen.
Die Iren hatten an vieles gedacht: sie hatten Angela Merkel einfliegen lassen (im Ausland ohnehin beliebter als in Deutschland), die kräftig für den EU-Vertrag geworben hatte und sie hatten den
von Korruptionsskandalen umwitterten Premier Bertie Ahern abgelöst und durch den Ex- Finanzminister Brian Cowen ersetzt, um zu verhindern, daß die Abstimmung zu einem Referendum über die
politische Zukunft des zunehmend unbeliebten Ahern wird.
Schon kurz nach dem Sieg der kritischen Demokraten bei dem Referendum, begann die Propaganda-Maschine der Neoliberalen anzulaufen. Irland wurde von Spitzenpolitikern des Festlandes abgebürstet,
als wäre es kein vollwertiges EU-Mitglied, sondern ein dummer Junge. Der CDU-Europaabgeordnete Elma Brok kritisierte den Ausgang der Abstimmung und regte ein neues irisches Referendum für 2009
an. Offenbar sollen die Iren so lange abstimmen, bis den Herrschenden das Ergebnis gefällt. Leute, mit dem Demokratieverständnis eines Elmar Brok sind in der CDU aber keine Seltenheit, da die
Partei Volksentscheide grundsätzlich ablehnt.
Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy will trotz der Ablehnung den Ratifizierungsprozess
weiterlaufen lassen und nimmt offenbar in Kauf, daß das EU-Mitglied Irland bei wichtigen Entscheidungen außen vor bleibt. Kurz vor dem Referendum, als erstmals deutliche wurde, daß die Gegner des
EU-Vertrages gewinnen könnten, verschob die französische Regierung eine Parlamentsdebatte über die Ziele ihrer EU-Ratspräsidentschaft. Wären diese wirklich so progressiv und demokratisch hätte es
dafür keine Notwendigkeit gegeben.
Mittlerweile spricht man offiziell vom „Europa der zwei Geschwindigkeiten“, bei dem „Querulanten“ wie Irland in der Ecke stehen sollen, während die Musterschüler weiter Europa auf die Interessen
der Konzerne zustutzen.
Der neueste raffinierte Schachzug des derzeitigen EU-Ratspräsidenten Sarkozy: er schlägt den Iren ein neues Referendum vor, in dem neben dem EU-Vertrag auch gleichzeitig über den EU-Beitritt
Kroatiens abgestimmt werden soll. Sarkozy hofft, daß die Iren bei aller Kritik am Vertrag ein neues EU-Mitglied nicht vor der Tür stehen lassen werden. Zynischer geht es kaum!
Noch vor der Abstimmung in den europäischen Medien verbreitet wurde, die oben genannten „Yes“-Parteien und die mit ihnen verbündeten Gewerkschaften und großen Bauernverbände würden 90% der
Bevölkerung repräsentieren. Das Wahlergebnis sagt aber etwas völlig anderes.
Die Regierenden Irlands wurden nun unter Druck gesetzt. Man verlange, zu wissen, wie es mit der „Reform“ der EU nun weiter gehen solle, ließen europäische Spitzenpolitiker verlauten. Der irische
Außenminister Michéal Martin forderte kleinlaut beim kurz darauf stattfindenden EU-Außenministertreffen „Respekt“ für die Entscheidung seiner Landsleute.
Das irische „No“ hat offenbar Politiker in der EU beflügelt, ihre Skepsis zum EU-Vertrag öffentlicher zu Schau zu tragen, was sie sich vorher nicht getraut hatten.
Dimitris Christofias, Zyperns kommunistischer Staatspräsident von der Fortschrittspartei des werktätigen Volkes (AKEL), der erst in diesem Jahr gewählt wurde, rief auf, „ die Entscheidung eins
ganzen Volkes nicht zu ignorieren“.
Tschechiens Präsident Vaclav Klaus, wirtschafts- und sozialpolitisch ein knallharter Neoliberaler, aber auch immer schon ein starker EU-Kritiker, reibt sich die Hände. Er sieht nun die
Möglichkeit, daß er das Ratifizierungsgesetz zum Vertrag nicht unterzeichnen muß. Polens nationalkonservativer Präsident Lech Kaczynski, der in Sachen EU-Vertrag bereits schon umgefallen war,
vollzog eine Kehrtwendung und erklärte den Lissabon-Vertrag nach dem Referendum für „tot“. Auch der deutsche Bundespräsident Horst Köhler hat seine Unterschrift noch nicht unter das Gesetz zur
Ratifizierung gesetzt. Bei Köhler liegt es aber wohl nicht an seiner (nicht vorhandenen) EU-Skepsis, sondern an diversen Verfassungsklagen, die von der Partei DIE LINKE, dem CSU-MdB Peter
Gauweiler, von dem Staatsrechtslehrer Prof. jur. Karl Albrecht Schachtschneider und vielen anderen eingereicht wurden.
Doch ein Grund zum Frohlocken für die Vertragsgegner ist dies alles nicht. Mit suggestiver Berichterstattung machen sich die Mainstream-Medien daran, weiter für den Vertrag zu werben. Die Iren
hätten den Vertrag abgelehnt, weil sie ihn nicht verstanden hätten oder seinen glückverheißenden Inhalt gar nicht wirklich kennen, tönten große deutsche Tageszeitungen (suggeriert: alle die
dagegen sind, sind dumm oder nicht gut informiert). Gleichzeitig haben die Medien kaum über die Inhalte des Vertrages informiert oder irgendwo unabhängige Diskussionen – gerade auch mit den
Kritikern – gefördert.
Selbst der irische Premier Brian Cowen und sein EU-Kommissar Charlie McCreevy gaben öffentlich zu, den umfangreichen Vertrag nicht oder nicht vollständig gelesen zu haben. McCreevy sagte dem
SPIEGEL, er habe sich nur mit einer Zusammenfassung begnügt.
Wenn also niemand von den verantwortlichen Regierungspolitikern Irlands den Vertrag kennt, wie kann die EU dann erwarten, daß das irische Volk dem Vertragswerk zustimmt?
Deutsche Medien erklärten, eine Umfrage im Auftrag des TV-Senders N24 würde belegen, daß 54% der Deutschen bei einer Volksabstimmung den EU-Vertrag unterstützen würden. Ebenfalls
erklärten 70% der Befragten, sie wünschen sich, daß politische Entscheidungen wieder verstärkt von den Nationalstaaten und nationalen Parlamenten getroffen werden – doch eben das findet nach der
Unterzeichnung des EU-Vertrages durch Deutschland nicht mehr statt. Nur 24% der Befragten befürworten eine Kompetenzverlagerung von Berlin nach Brüssel – doch eben dies findet nach der
Vertragsratifizierung statt! Diese Umfrage zeigt, daß die Mehrheit der Bürger den Inhalt des Vertrages überhaupt nicht kennen – woher auch, wenn jede öffentliche Diskussion unterdrückt und Kritik
totgeschwiegen wird?
Auch werden nun renommierte Persönlichkeiten mit einer Pro-EU-Einstellung in die Öffentlichkeit bemüht, um die Zustimmung der Bevölkerung zu erhöhen. In der ehemals alternativen „Tageszeitung“
taz, mittlerweile ein Leitmedium relativ unkritischer „Linksliberaler“, durfte am 27.6.2008 der Europarechtler Franz C. Mayer Stellung nehmen. Er schwärmt von den Vorzügen des Lissabon-Vertrages.
So erklärt er, das europäische Parlament würde durch den Vertrag in der Innenpolitik ein viel größeres Mitspracherecht erhalten als bisher. Allerdings ist der bekannte deutsche und als seriös
einzustufende Verein „Mehr Demokratie e.V.“ anderer Meinung. Er sagt, daß EU-Parlament habe als Parlament in Europa auch nach dem Vertrag weniger Rechte als der Bundestag in Deutschland.
Eine Kompetenzverlagerung von nationalen Parlamenten auf ein kastriertes, von Lobbyisten durchsetztes und für den Bürger schwerer zu überblickendes und zu kontrollierendes EU-Parlament kann also
nicht mehr Demokratie bedeuten, sondern nur weniger. Auf diesen Halbwahrheiten baut die ganze Argumentation der „Lissabon“-Fanatiker auf.
Auf den Vorwurf des Neoliberalismus regieren sie mit der Tatsache, daß im Vertrag erstmals von einer „sozialen“ Marktwirtschaft die Rede ist. Das steht im deutschen Grundgesetz aber auch. Wenn
die EU-Politiker sich so an den Vertragstext halten, wie deutsche Politiker an das Grundgesetz, dann kann man diesen Passus des Vertrages gleich unter Ulk verbuchen.
Interessant an diesem Interview ist allerdings, daß selbst Mayer zu gibt, daß die „Bundesrepublik keine volle Souveränität“ besitzt. Eine Unterhöhlung der Staatlichkeit wie von Peter Gauweiler
befürchtet, sieht Mayer allerdings nicht, erklärt aber gleichzeitig, daß nach dem Vertrag keine einstimmigen Entscheidungen mehr in der EU notwendig wären, sondern Mehrheitsentscheidungen
reichen. Das bedeutet nichts anderes, als daß Deutschland und eine Minderheit von anderen EU-Staaten überstimmt werden kann und daß die BRD Beschlüsse mittragen muß, die gegen ihre ureigensten
Interessen gerichtet sind – wenn das kein Verlust von Staatlichkeit und Souveränität ist.
Für Demokraten kann es nur eine Vorgehensweise in Sachen EU-Vertrag geben: öffentliche Diskussion über den Inhalt und das Für und Wider des Vertrages und anschließend eine Volksabstimmung
in jedem Nationalstaat, der dem Vertrag beitreten möchte.
Kay Hanisch 15.7.2008
Bundespräsident 2009
Kommentar von Christin Seibt
Alles hält in Deutschland den Atem an und schaut gespannt auf den Kalender! Nur noch ca. 300 Mal morgens aus den Federn kriechen und dann ist das große Ereignis! Die Wahl des
deutschen Bundespräsidenten! Und es wird so richtig spannend. Es gibt nämlich nicht nur einen Kandidaten, sondern sogar zwei! Und die LINKE debattiert noch, ob sie eine chancenlose Zählkandidatin
ins Rennen schickt. Also eine gewaltige Auswahl! Damit bei der Wahl aber niemand überfordert ist, schicken die selbsternannten Volksparteien CDU und SPD wieder die gleichen Pappnasen wie zur
letzten Wahl ins Rennen: den mit den Ärmelschonern eines Bürokraten auf die Welt gekommenen Amtsinhaber Hotte Köhler und Frau Professor Gesine Schwan, die mit ihrem Gebiß einen Apfel durch ein
Schlüsselloch essen könnte.
Und dann noch diese Frisur – also, wen Deutschlands Karikaturisten zum Staatsoberhaupt wählen würden, kann man sich denken.
Doch mit dem Wählen ist das so eine Sache. Im Gegensatz zu autoritären Staaten wie den USA oder Simbabwe dürfen die unmündigen Deutschen in ihrem halbautoritären Land ihr Staatsoberhaupt nicht
direkt wählen, sondern müssen das Vertretern, quasi Vormündern, überlassen. Dabei handelt es sich um Personen, welche die Land- und Bundestagsfraktionen, meist aus ihren eigenen Reihen, in die
sogenannte Bundeswahlversammlung schicken. Um nicht den Eindruck zu erwecken, die Politiker würden unter sich ausmachen, wer den Grüßaugust für die BRD geben darf, werden auch „verdiente
Persönlichkeiten aus der Gesellschaft“ (aus Adel, Jet Set und Industrie etc.) als Mitglieder in die Wahlversammlung geschleift. Eine freie Wahl wird ohnehin nicht erwartet. Man erinnere sich noch
daran als beim letzten Mal die von der CDU berufene Gräfin Gloria von Thurn und Taxis nach der Wahl fröhlich verkündete, sie habe Gesine Schwan gewählt. Die CDU spuckte Gift und Galle und die
Adlige erklärte naiv, sie dachte, man könne hier eine freie Wahl treffen.
Da also auch bei nur zwei Kandidaten die Gefahr besteht, dass der/die Falsche gewählt werden könnte, sollte man den Mitgliedern der Wahlversammlung nächstes Jahr eine kleine Broschüre mitgeben,
in der steht, wo sie ihr Kreuz zu machen haben. Bei derzeitigen Kandidatenauswahl dürfte aber in jedem Fall der „Falsche“ gewählt werden, egal wer gewinnt.
Vielen Deutschen geht die ganze Sache am Allerwertesten vorbei, da sie meinen, die Aufgabe des Bundespräsidenten besteht in relativ sinnfreien Sonntagsreden und dem Herunterwohnen vom Schloss
Bellevue. Tatsächlich ist die Aufgabe des Staatsoberhauptes eine „repräsentative“. Doch sehen Orlando Bloom oder Heidi Klum nicht viel repräsentativer aus als die beiden schlecht im Futter
stehenden Kandidaten?
In Wahrheit kommt dem Bundespräsidenten eine Schlüsselrolle zu. Er kann nämlich durch seine Unterschrift Gesetze zur Geltung bringen oder aber nicht – in dem er seine Unterschrift unter diese
Gesetze verweigert. Der Bundespräsident ist per Verfassung kein bloßer „Unterschriftenautomat“ – wie sich Kambodschas früherer König Norodom Sihanouk in seinem ebenfalls repräsentativen Amt
bezeichnete.
Ein unabhängiger Bundespräsident hätte Deutschland vor vielen unsinnigen Gesetzen bewahren können, wie z.B. Hartz IV. Deshalb haben die Bundestagsparteien ja gerade ein Interesse daran, den
Präsidenten an der kurzen Leine zu führen.
So ist es eigentlich wurscht, ob der Köhler oder der Schwan gewinnt, positive Aspekte haben die Bürger in keinem Fall zu erwarten. Der Bundespräsident bleibt eine Marionette der ausgelutschten
Altparteien, deren politische Konzeptionslosigkeit ja mittlerweile das Einzige ist, was ihnen an Profil geblieben ist. Ein Bundespräsident, der vom Volk direkt gewählt wird, könnte als
unabhängiges Korrektiv und als Bindeglied zwischen Bürger und Parteienfilz ... pardon ... Parteiensystem fungieren. Die Bürger würden mit der Wahl des Präsidenten mehr Einfluss auf die Politik
nehmen können und mit dem Gefühl mehr bewegen zu können, würde auch der Würgreflex der Bürger geringer werden, wenn sie das Wort „Politik“ hören. Aber ohne eine neue Demokratiebewegung passiert
in dieser Richtung gar nichts. Die Konzerne und ihre Polit-Amigos im Bundestag wollen keinen Volksvertreter an der Staatsspitze, sondern doch nur einen Unterschriftenautomaten. (cs)
Georgien - Rußland
Im jüngsten militärischen Konflikt zwischen Georgien und Rußland haben sowohl die Russen als auch der Westen kein moralisches Recht, die andere Seite zu kritisieren. Beide
Seiten haben sich gesetzwidrig verhalten und haben das Völkerrecht mit Füßen getreten. Die Russen, in dem sie die illegale Abspaltung der Provinzen Abchasien und Südossetien von Georgien
unterstützen und sich dabei auf das Vorbild des Kosovo berufen. Damit wollen die Russen das prowestliche Georgien abstrafen für seinen Annäherungskurs an die NATO.
Die USA und die mit ihr verbündeten westlichen Staaten, allen voran Deutschland unter der Merkel-Regierung und ihrer rotgrünen Vorgängertruppe, haben die illegale Abspaltung der Kosovo-Provinz
von Serbien unterstützt und den Abchasen und Süd-Osseten das Vorbild für eine scheinbar legitime Separation geliefert.
In diesem nun eskalierten militärischen Konflikt sind die Folgen noch nicht abzusehen.
Leidtragende des neuen Kalten Krieges zwischen Rußland und den USA sind Serbien und Georgien mit ihren vielen Opfern. Diesen Ländern, die in diesen Konflikten unter die Räder gekommen sind,
gebührt die Solidarität der demokratischen Opposition in Deutschland. Denn nur, wenn das Völkerrecht und die Unverletzlichkeit der Grenzen geachtet werden, werden sich solche Konflikte verhindern
lassen.
Der Westen hat versagt und Rußland hat versagt. Beide verfolgten nur ihre Interessen und haben Öl ins Feuer gegossen.
Es wird Zeit für eine neue Außenpolitik, welche der herkömmlichen Hegemonialpolitik und ihren üblichen Einmischungen eine Abfuhr erteilt.
Dies zu gestalten gehört zu den Aufgaben einer neuen demokratischen Bewegung – hier in Deutschland, aber auch weltweit.
Kay Hanisch
Kambodscha
Der Ausgang der Parlamentswahl in Kambodscha vom Juli 2008 war keine Überraschung. Die Karten waren von vornherein zugunsten des autoritären Langzeitpremiers Hun
Sen gemischt gewesen. Dennoch vollzieht sich in Kambodschas Parteiensystem ein gravierender Wandel.
Der neue und alte Premierminister im Königreich
Kambodscha heißt Hun Sen. Ein Mann, der in den 1970iger Jahren zunächst auf Seiten der berüchtigten Roten Khmer unter Pol Pot kämpfte, sich nach zwei Jahren Richtung Vietnam absetzte, um bald
darauf im Gefolge vietnamesischer Besatzungstruppen wieder kambodschanischen Boden zu betreten. Die Vietnamesen installierten nach dem Sturz des steinzeitkommunistischen Pol-Pot-Regimes 1979 ein
sozialistisches Einparteiensystem nach Ostblock-Vorbild. Aus dieser Einheitspartei ist die heutige Regierungspartei CPP (Kambodschanische Volkspartei) hervorgegangen und seit 1985 steht
Hun Sen der Regierung vor, auch wenn das Land einen Wandel hin zur Formaldemokratie und wieder zurück zur konstitutionellen Monarchie gemacht hat.
In der Zeit des Staatssozialismus und der vietnamesischen Besatzung der 80iger Jahre konnte sich die CPP tief im Staat verankern. Sie kontrolliert auch heute noch praktisch die Armee und den
gesamten Sicherheitsapparat sowie die Medien. Letztere benutzte sie, um massiv Stimmung für die Regierung zu machen.
Zwar befindet sich Kambodscha in einem stetigen Wirtschaftswachstum, doch zeitgleich geht damit die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten einher. Die Regierung erläßt keine Sozialmaßnahmen, um
diese Probleme sozial abzufedern.
Da sich Kambodscha derzeit in einem militärischen Grenzkonflikt mit Thailand um den Tempel Preah Vihear befindet, dürfte dies auch in Wählerstimmen für die CPP zu Buche geschlagen sein, da bei
diesem Konflikt mit einem „auswärtigen Feind“ die Wähler ihrer Regierung offenbar den Rücken stärken wollten.
Obwohl die Wahlen von den internationalen Wahlbeobachtern „weitgehend als frei und fair“ bezeichnet wurden, kann durch die Ausnutzung des CPP-Einflusses auf die Medien, Wahl- und
Sicherheitsbeamten und durch Einschüchterung der Wähler davon nicht die Rede sein.
Die Volkspartei erhielt bei der Wahl 2008 nun 58,11% und 80 der 123 Parlamentssitze.
Jahrelang als zweite politische Kraft im Lande galt die Vereinigte Nationale Front für ein unabhängiges, neutrales, friedliches und solidarisches Kambodscha, kurz FUNCINPEC.
Die Partei, die sich zur Monarchie bekennt, wurde 1981 von Norodom Sihanouk gegründet. Ihr militärischer Arm kämpfte während des Bürgerkrieges gemeinsam mit Republikanern und Roten Khmer gegen
die vietnamesischen Invasoren. Norodom Sihanouk, ein direkter Nachfahre der Gottkönige von Angkor, gilt den Kambodschanern als „Vater der Nation“ und Kämpfer für die Unabhängigkeit des Landes.
Seit 1941 als jugendlicher König, seit 1955 als Premierminister und seit 1960 als Staatspräsident führte er Kambodscha bis zu seinem, von der CIA eingefädelten Sturz 1970 auf dem Pfad der
Neutralität friedlich durch die Kriege und gewalttätigen Wirren Indochinas.
Die Wahlen von 1993 beendeten den Bürgerkrieg endgültig, die FUNCINPEC ging überraschend mit 45,5% gegenüber der CPP mit 38,2% als Sieger hervor. Hun Sen wollte den Machtverlust aber nicht
akzeptieren und drohte, den Bürgerkrieg wieder aufflammen zu lassen. Hier kam wieder die Zeit für einen von Sihanouks überraschenden Kompromissen. Der Ex-Monarch erklärte sich kurzerhand wieder
zum König mit nur noch repräsentativen Vollmachten, ernannten seinen Sohn Norodom Ranariddh, der die FUNCINPEC mittlerweile führte, zum 1. Premierminister und Hun Sen zum gleichberechtigten 2.
Premier. Rettete diese Lösung damals den Frieden, so führte sie letztlich in die Sackgasse. Der Konflikt zwischen den beiden Streithähnen war vorprogrammiert. Der skrupellose Hun Sen baute seine
Leibwache zu einer eigenen kleinen Armee aus. Ranariddh, statt sich strikt an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu halten, ließ sich auf ein Wettrüsten mit ihm ein. Beide Premiers beschuldigten
sich gegenseitig, einen Putsch zu planen. Hun Sen schlug 1997 als erster zu und entmachtete Ranariddh in einem blutigen Putsch. Einige Tage leisteten FUNCINPEC-loyale Truppen Widerstand, dann
zogen sich ihre letzten Reste in den Urwald zurück.
Seit diesem Putsch ist die FUNCINPEC immer stärker unter den Einfluß der CPP geraten. Hun Sen setzte durch, daß die Koalition auch nach dem Putsch weitergeführt wurde und der folgsame
Außenminister Ung Huot von der FUNCINPEC Ranariddhs Platz einnahm. Auch wenn der Prinz einige Zeit später wieder ins Land zurück durfte und sogar als Parlamentspräsident amtierte, war die
FUCINPEC zur Geisel der CPP geworden. Sie konnte in der Koalition kein Profil gewinnen und wurde von Hun Sen als Sündenbock benutzt für die Fehler und unpopulären Entscheidungen der gemeinsamen
Regierung. Der schwerkranke König Sihanouk, der sich aus seiner Partei längst zurückgezogen hatte, um die Neutralität des Königstitels nicht zu beschädigen, schaute dem Parteiengeplänkel
angewidert vom Krankenbett zu.
Hätte Ranariddh die Opposition gewählt, hätten er und seine Partei wieder riskiert, das Opfer von Gewalttätigkeiten und Repressionen zu werden (zahlreiche führende FUNCINPEC-Politiker wurden nach
dem Putsch von 1997 ermordet). So war es für die Monarchisten nur recht und billig, in der Koalition zu verbleiben, denn es gab Pfründe zu verteilen und keinen Ärger mit dem Autokraten Hun Sen.
Diesem Verhalten haben die Wähler nun die Quittung ausgestellt! Gewann die FUNCINPEC 1993 noch 58 Sitze und 1998 noch 43, so waren es 2003 nur noch 26 Mandate. Bei der jetzigen Wahl hat die
Partei Hochrechnungen zu Folge mit etwas über 5% ihr bisher schlechtestes Ergebnis eingefahren und nur 2 Mandate erhalten. Die FUNCINPEC hat aber nichts daraus gelernt und erklärt, sie möchte die
Koalition mit Hun Sen fortsetzen.
Norodom Sihanouk hatte inzwischen 2004 seinen letzten politischen Schachzug gemacht. Er dankte zu seinen Lebzeiten als König aus gesundheitlichen Gründen ab, was die Verfassung eigentlich
überhaupt nicht vorsieht und schlug seinen ältesten Sohn, Kambodschas UNESCO-Botschafter Norodom Sihamoni, als seinen Nachfolger vor. Zuvor hatte Rananriddh zwecks Verbleibs in der aktiven
Politik auf einen Thronanspruch verzichtet. Hun Sen, der in Wutausbrüchen immer wieder damit gedroht hatte, die ihm lästige Krone abzuschaffen, akzeptierte dies. Ein öffentlicher Widerspruch zu
Staatsgründer Sihanouk wäre undenkbar gewesen und hätte große Unruhe in der Bevölkerung hervorgerufen. Mit der Regelung seiner Nachfolge zu seinen Lebzeiten hat Sihanouk die Vorraussetzung für
das Überleben der Monarchie geschaffen, zumal der „politisch einzige international vorzeigbare Kambodschaner“ (Sihanouk über Sihanouk) seinem unerfahrenen Sohn und Nachfolger inoffiziell als
Ratgeber zur Verfügung steht.
Zwei Feststellungen sind hierbei zu treffen: zum einen scheint die FUNCINPEC aufgrund ihrer völligen Profillosigkeit nur noch gewählt wurden zu sein, weil sie irgendwann ja einmal von Norodom
Sihanouk, dem alles verehrten Vater der Unabhängigkeit gegründet wurde – also aus Loyalität. Zweitens: Unter Rananriddh hat die Partei als Hauptinhalt das Bekenntnis zur Monarchie propagiert.
Diese wird von der Masse der Kambodschaner ja auch gewünscht. Als sich immer mehr herausstellte, daß die Monarchie auch von den CPP-Genossen mehrheitlich nicht mehr in Frage gestellt wird,
wandten sich nun viele FUNCINPEC-Wähler anderen Parteien zu. Eine dieser Gruppierungen ist die Sam-Rainsy-Partei (SRP).
Sam Rainsy war unter dem ersten Premier Norodom Ranariddh zu Beginn der 90iger Jahre Finanzminister und FUNCINPEC-Mitglied. Als radikaler Kämpfer gegen Korruption zog er sich allerdings den Zorn
einflußreicher Parteifreunde zu. Er gründete daraufhin die Khmer Nation Party, die später umbenannt wurde und heute seinen eigenen Namen trägt. Die größtenteils neoliberal
ausgerichtete SRP erhielt bei den Wahlen im Juli 29 Mandate und wurde somit erstmals zweitstärkste Kraft im Parlament.
Nachdem die Hun Sen weitgehend gefügige Justiz ein Verfahren wegen „Korruption“ gegen Prinz Ranariddh angestrengt hat, ließ die FUNCINPEC ihren Vorsitzenden aus der Partei ausschließen. Der
Vorwurf der Korruption ist in Kambodscha ein gängiges Mittel um politische Gegner mundtot zu machen, nachdem der noch vor ein paar Jahren beliebte Vorwurf, mit den Resten der Roten Khmer unter
einer Decke zu stecken, nach deren Zerschlagung nun nicht mehr brauchbar ist. In der FUNCINPEC war der Prinz wegen seines selbstherrlichen Stils offenbar nicht unumstritten. Seinen parteiinternen
Rivalen kam die Anklage nur zu gelegen. Ob an den Vorwürfen gegen Ranariddh wirklich etwas dran ist, werden Prozeß und Urteil kaum zeigen. Die kambodschanische Justiz kann nicht als politisch
neutral betrachtet werden. Viel mehr ist eigentlich die Vetternwirtschaft im Dunstkreis der CPP zu finden, die aufgrund ihrer Machtposition die besten Pfründe zu vergeben hat.
Prinz Ranariddh schloß sich nach seinem Rausschmiß einer Splittergruppe, der Khmer Front Party (KFP) an, die ihn zu ihrem Vorsitzenden wählte. Kurz darauf wurde die Gruppierung in
Norodom-Ranariddh-Partei (NRP) umbenannt. Aufgrund der Popularität des Prinzen konnte diese Partei erstmals mit zwei Abgeordneten ins Parlament einziehen. Auch ihre Kandidatur dürfte den
Stimmenanteil für die FUNCINPEC nahezu halbiert haben, worin ein zusätzlicher Grund für das schlechte Abschneiden der Monarchistenpartei zu sehen ist. Die kleine NRP hat sogar insgesamt mehr
Stimmen bekommen als die FUNCINPEC.
Beide Oppositionskräfte, sowohl die SRP, als auch die NRP, leiden an dem Konstruktionsfehler, daß sie ausschließlich auf ihre Parteiführer zugeschnitten sind. Sollten diese Personen von Hun Sen
aus dem Verkehr gezogen werden, so dürften die Parteien in eine schwere Krise geraten. So mußte Sam Rainsy bereits das Land verlassen, weil Hun Sen ihm den Prozeß machen ließ wegen Verleumdung
des Regierungschefs. Kurz darauf amnestierte ihn aber der neue König Sihamoni und er konnte nach Kambodscha zurückkehren.
Diesen Problemen will die Menschenrechtspartei (HRP) des charismatischen Oppositionellen Kem Sokha entgegenwirken und betreibt weniger Personenkult um ihren Führer. Der HRP gelang erstmals
mit drei Mandaten der Sprung ins Parlament.
Sechs weitere Parteien traten außer den genannten noch zur Wahl an. Von diesen gelang es aber keiner in das Parlament einzuziehen. Außer der League for Democratic Party blieben alle unter
1% der Wählerstimmen.
Sowohl die SRP, als auch die FUNCINPEC, die NRP und die Menschenrechtspartei erklärten nach der Wahl, daß sie das Ergebnis nicht anerkennen werden, da es aufgrund von Manipulationen zu Stande
gekommen ist und unterzeichneten eine gemeinsame Erklärung. Doch kurz darauf erklärte die FUNCINPEC, die Koalition mit der CPP fortzusetzen.
Zwei Tage nach der Wahl wurde das „Korruptionsverfahren“ gegen Ranariddh wieder aufgenommen und der Prinz wurde rechtskräftig verurteilt. Inzwischen soll er sich ohnehin wieder einmal im Exil
aufhalten. Seine Rückkehr nach Kambodscha und somit auf die politische Bühne dürfte daher fraglich sein. Damit fällt die NRP als politische Kraft im Parlament fast schon wieder aus.
Viele Parteien sind im Nachkriegskambodscha seit 1993 gekommen und gegangen. Man denke da an die Buddhistische Liberal-Demokratische Partei (BLDP) von Son Sann, einem Ex-Premier des
us-freundlichen Militärdiktators Lon Nol (1970-75) oder die rechtsnationale Molinaka von Prum Neakareach, die ebenfalls einmal im Parlament saßen. Doch die CPP und die FUNCINPEC galten
immer als Konstante dieses wechselvollen Parteiensystems. Mit dem Niedergang der Monarchisten werden die politischen Karten neugemischt.
Kay Hanisch
Österreich
Während die Landtagswahl in Bayern fast einer „Revolution“ glich, war auch die Wahl in Österreich von etlichen Überraschungen begleitet. Eine Wahlnachlese zur Nationalratswahl in unserem
Nachbarland.
Zur Nationalratswahl am 28. September stellten sich bundesweit 10 Parteien und Bündnisse den Wählern - soviel, wie schon seit langem nicht mehr.
Die Wahlbeteiligung lag bei 71,48 %, worüber man sich in Deutschland gefreut hätte. In Österreich bedeutete sie aber einen Rückgang um 7 %.
Zusammenfassend kann man sagen, daß die großen Parteien, die sozialdemokratische SPÖ und die konservative ÖVP, die das Land zusammen in einer Großen Koalition regiert hatten, starke Verluste
hinnehmen mußten.
Die SPÖ, die den Bundeskanzler stellte, verlor 5,7% der Wählerstimmen, wurde aber immer noch mit 29,7% stärkste politische Kraft. Dies war sehr überraschend, da die SPÖ in der Wählergunst
zunächst ziemlich weit abgesackt war. Doch ihre Führungsriege bediente sich eines geschickten Sozial-Populismus, um die Stimmenverluste aufzufangen. Der Bundeskanzler Alfred Gusenbauer forderte
im Frühsommer eine Volksabstimmung über den EU-Vertrag, obwohl seine Fraktion dieses Dokument zuvor im Parlament durchgewunken hatte. SPÖ-Spitzenkandidat Werner Faymann ließ im Parlament mit den
Stimmen der rechten FPÖ vor der Wahl ein „5-Punkte-Programm“ zur sozialen Absicherung verabschieden. Bleibt zu hoffen, daß die Genossen es ernst meinen und diesen Maßnahmenkatalog nach der Wahl
nicht wieder aushöhlen.
Die konservative ÖVP verlor mit minus 8,7% noch stärker als ihr Koalitionspartner SPÖ und erhielt 25,6% der Stimmen. Dies ist kein wirklicher gesellschaftlicher Verlust, denn die ÖVP unterstützte
massiv den diktatorischen EU-Vertrag und hat in ihrer früheren Regierung unter Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) die schleichende Aushöhlung der österreichischen Neutralität betrieben. Im Wahlkampf
präsentierte sich die Partei als neoliberaler Musterschüler.
Die rechtspopulistische Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) legte 7% zu und kam damit auf 18% der Wählerstimmen. Lange war der in Europa verteufelte „Rechtspopulist“ Jörg Haider
Vorsitzender dieser Partei und machte die kleine FPÖ zur dritten Kraft im österreichischen Parteiensystem. Während der ÖVP/FPÖ-Koalition 1999-20006 unter Wolfgang Schüssel verließ Haider die
Partei im Streit, die in diesem Wahlkampf nun von seinem ehemaligen politischen Ziehsohn Heinz Christian Strache geführt wurde und die meisten Jungwähler verbuchen konnte.
Eigentlicher Gewinner der Nationalratswahl war das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ), Haiders neue Partei, von der es lange so aussah, als würde sie über den Status einer Splitter- und
Regionalpartei nicht hinauskommen. Das BZÖ ist eine Art Soft-Variante der FPÖ und nimmt im Parteiensystem Österreichs eine kuriose Stellung ein. In Kärnten, wo Jörg Haider Landeshauptmann
(Ministerpräsident) ist, hält die Gruppierung einen Stimmenanteil von knapp 40-50% und hat die FPÖ-Klientel weitgehend aufgesogen. Außerhalb Kärntens gelang es der Partei, die sich 2005 gründete
und nach der Orangenen Revolution in der Ukraine sich ebenfalls der Farbe orange als Erkennungsmerkmal bediente, bei sämtlichen Landtagswahlen nicht, die 4%-Hürde zu überspringen. Im bisherigen
Nationalrat war sie mit 4,1% (7 Mandate) vertreten. Der knappe Einzug gelang aber nur aufgrund der Kärntner Wähler. Zur diesjährigen Wahl stürzte sich Jörg Haider wieder selbst als
Spitzenkandidat in den Wahlkampf und führte seine kleine Partei mit 11% ins Parlament. Auch wenn Haider wohl Landeshauptmann in Kärnten bleiben wird und verkündete, er würde dieses Amt nur gegen
das des Kanzlers eintauschen, dürfte seine Person wohl neben der sozialen Unzufriedenheit der Hauptgrund für die vielen BZÖ-Stimmen gewesen sein. Haider, ganz Populist, hatte im Wahlkampf auf die
soziale Karte gesetzt. Er konnte aber im Gegensatz zu Strache ganz konkrete Erfolge dank seiner Regierungsarbeit in Kärnten vorweisen, wie z.B. kostenlose Kindergärten oder Billig-Tankstellen mit
vom Land subventioniertem Benzin. Seine zahlreichen sozialen Wohltaten in Kärnten hat „der Jörgi“, wie er von seinen Anhängern genannt wird, mit einer wachsenden Staatsverschuldung und dem
Verkauf von Landeseigentum bezahlt. Haider trat im Wahlkampf betont staatsmännisch auf und hielt sich im Gegensatz zu Strache mit aggressiven Poltereien zurück.
Die Grünen Österreichs, die seit mehreren Jahren vom Wirtschaftsprofessor Alexander van der Bellen geführt werden, verloren 1,3% der Stimmen und erhielten 9,8%. Die Partei gilt
mittlerweile in Österreich als etabliert und war von jeher bürgerlicher als ihre deutsche Schwesterpartei. Im Wahlkampf konnten sie sich aufgrund ihrer politischen Korrektheit nicht so recht vom
„Langweilerimage“ befreien. Zudem dürfte das Antreten des Liberalen Forums (LiF) den Grünen weitere Stimmen gekostet haben.
Das Liberale Forum wurde 1993 von der ehemaligen FPÖ-Politikerin Heide Schmidt gegründet. Frau Schmidt hatte kurz zuvor die Freiheitlichen aus Protest gegen den Rechtskurs Jörg Haiders verlassen
und bildete mit einigen Abtrünnigen eine eigene Fraktion im Nationalrat. Bei den darauffolgenden Wahlen 1995 zog das LiF wieder ins Parlament ein, verpaßte 1999 aber die 4%-Hürde und verschwand
für mehrere Jahre in der politischen Versenkung. 2006 gelang dem LiF-Sprecher Alexander Zach der Einzug ins Parlament auf der Liste der SPÖ. Heide Schmidt, die zweimal als Bundespräsidentin
kandidiert hatte, erstand mit ihrer Partei kurz vor der Wahl auf wie Phoenix aus der Asche. Da das LiF keine Parteienfinanzierung erhielt, war es auf andere Finanzquellen angewiesen, wie den
Multimillionär und Chef des STRABAG-Baukonzerns, Hans Peter Haselsteiner. Dieser hemdsärmlige Unternehmer setzte sich sogar für die Vermögenssteuer ein und verkündete im Wahlkampf, daß
„unverhältnismäßig hohe Einkommen auch unverhältnismäßig hoch besteuert werden“ dürften.
Das LiF, welches auch für ein bedingungsloses Grundeinkommen warb, ist ein klein wenig linker als die deutsche FDP. Obwohl alle Umfragen darauf hindeuteten, daß die Partei in das Parlament
einzieht, blieb sie mit 1,9% weit abgeschlagen. Ein Grund dafür dürfte auch sein, daß der einzige LiF-Parlamentsabgeordnete Alexander Zach wenige Tage vor der Wahl mit Lobbyismusvorwürfen (für
den Eurofighter-Hersteller EADS) konfrontiert wurde.
Heide Schmidt erklärte, das „Projekt liberale Partei“ in Österreich nach der Wahl endgültig für tot.
Eine weitere Gruppierung, die sich Chancen auf den Einzug in den Nationalrat ausrechnete, war die „Liste Fritz Dinkhauser –Bürgerforum“, oder einfach nur „Liste Fritz“ genannt. Der
knorrige 68-jährige Fritz Dinkhauser war jahrelanges ÖVP-Mitglied und als solches Präsident der Arbeiterkammer in Tirol. Wegen der zunehmend unsozialen und bürgerfernen Politik der ÖVP gründete
er seine Wählerliste, mit der er zur Landtagswahl 2008 in Tirol zum ersten Mal antrat und sensationelle 18% holte. Dieser Erfolg und Zustimmung aus allen Teilen der Republik beflügelten ihn, es
nun bundesweit mit einer Kandidatur zu versuchen. Obwohl die Liste bei den Umfragen bis zum Schluß knapp in der Nähe der 4%-Marke lag, scheiterte sie mit nur 1,8%. Hier fällt der Spruch des
slowakischen Premierministers Robert Fico ein, der vor wenigen Wochen erklärte: „Umfragen sind wie Damenbadeanzüge. Sie verdecken das, was alle sehen wollen.“
Der Start der Liste Fritz erinnert an ein ähnliches Projekt in Deutschland: die STATT Partei! 1993 kurz vor der Landtagswahl in Hamburg mit einem charismatischen Anführer und wenigen
Programmpunkten gegründet, sofort Einzug in den Landtag, dann bundesweite Ausdehnung innerhalb kürzester Zeit. Es folgte das Scheitern bei der darauffolgenden Bundestagswahl!
Das der Liste Fritz ein ähnliches Schicksal beschieden sein wird, ist leider anzunehmen, zumal die Gruppierung noch wesentlich stärker von der Person ihres greisen Vorsitzenden abhängig ist, als
seinerzeit die STATT Partei.
Die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) trat ebenfalls zur Wahl an und erhielt 0,77% der Stimmen. Während die Partei in der restlichen Republik eine Splittergruppe ist, gilt sie in der
Steiermark, wo sie sogar im Landtag sitzt, dank des Engagements von Ernest Kaltenegger, dem „Robin-Hood der Mieter“ als relativ gut verankert. Allerdings gibt es parteiintern oft Reibereien
zwischen dem starken „Realo-Verband“ in der Steiermark und den Dogmatikern in anderen Landesverbändern. Mit dem Ausbleiben der Parteienfinanzierung gerät nun auch ihr Spitzenkandidat Mirko
Messner in Bedrängnis, der zur Wahlkampffinanzierung einen persönlichen Kredit aufgenommen hatte.
Erstmalig trat auch die EU-kritische Bürgerbewegung „Rettet Österreich“ (RettÖ) um Wilfried Auerbach und Karl Nowak zur Wahl an und bekam 0,72%. Nowak war 1998 Kandidat für das Amt des
Bundespräsidenten gewesen, unterlag Amtsinhaber Thomas Klestil aber mit nur 1,95%. Als vorrangige Ziele nannte RettÖ die Bewahrung der österreichischen Neutralität und den Kampf sowohl gegen den
autoritär-neoliberalen EU-Vertrag als auch gegen gentechnisch manipulierte Nahrungsmittel. Obwohl das Wahlergebnis äußerst mager war, hatte die ursprünglich nur von zwei Familien gegründete
Initiative etwas bewegt. Aufgrund tausender von ihr gesammelter Unterschriften und gemeinsam mit anderen Gruppierungen veranstalteten Demonstrationen Anfang 2008 konnte erreicht werden, daß die
SPÖ nun eine Volksabstimmung über den EU-Vertrag befürwortete, da die Stimmung im Volk zu kippen drohte. Der Koalitionspartner ÖVP konnte dem überhaupt nicht folgen und so war auch die
unterschiedliche Haltung der Regierungsparteien zum EU-Vertrag ein Knackpunkt, der die fragile Koalition brechen ließ.
Zur Wahl stimmten die EU-Gegner aber dann offensichtlich doch lieber für die Rechtsparteien.
Die christlich-fundamentalistische Partei „Die Christen“ (DC) bekam 0,63% der Wählerstimmen. Die Abtreibungsgegnerpartei vertrat offenbar derart radikale Standpunkte, daß sich zum Schluß
selbst die katholische Kirche von ihr distanzierte.
Nur in einzelnen Wahlkreisen wählbar waren die Liste Stark, die Tierrechtspartei (TRP), die Liste Karl-Heinz Klement und das Bündnis „Die Linke“. Letzteres sollte ein
Sammelbecken nach dem Vorbild der deutschen Linkspartei werden. Allerdings beteiligten sich nur wenige Gruppen an dieser gemeinsamen Liste. Ohne die KPÖ im Boot war ihre Bedeutungslosigkeit
vorprogrammiert.
Nun beginnt der Koalitionspoker. Das BZÖ hält sich für nahezu alle Koalitionen offen und so kann man schwer einschätzen, wer regieren wird.
Kay Hanisch
Überraschung in Armenien
Vor gut einem Jahr meldete sich Armeniens ehemaliger Staatspräsident nach einer neunjährigen Auszeit mit Massenkundgebungen wieder auf der politischen Bühne
zurück.
Doch was will der umstrittene Politiker, der überraschend bei der Präsidentenwahl 2008 den zweiten Platz belegte, eigentlich?
Für die einen ist Lewon Ter-Petrosjan ein Held. Einer, der Armenien in die Unabhängigkeit führte und im Land während einer schweren Zeit für eine gewisse Stabilität sorgte. Einer,
der die unterdrückte armenische Minderheit im benachbarten Aserbaidschan beschützte und auch vor einem militärischen Konflikt mit dem größeren muslimischen Nachbarstaat nicht
zurückschreckte.
Für die anderen ist er ein Vaterlandsverräter, der die von Armenien besetzten aserbaidschanischen Gebiete wieder zurückgeben will und nicht nur seine Gegner verbinden mit seiner Präsidentschaft
kalte Winter in ungeheizten Wohnblöcken ohne Strom, was aber dem Wirtschaftsembargo der Nachbarstaaten Türkei und Aserbaidschan anzulasten ist.
1988 gehörte Lewon Ter-Petrosjan, seines Zeichens promovierter Historiker, zu den Gründern des „Komitees Nagorno-Karabach“. Dieses Gebiet ist zwar von christlichen Armeniern bewohnt, gehörte
administrativ aber zur aserbaidschanischen Sowjetrepublik. Das Komitee forderte nicht weniger als die Angliederung dieses Gebietes an die Sowjetrepublik Armenien, zumal die Karabach-Armenier auch
zu Sowjet-Zeiten in Aserbaidschan benachteiligt wurden.
Damit war bereits der Grundstein für eine Nationalbewegung gelegt. Als die UdSSR in den letzten Zügen lag, formierte sich eine neue Partei, die Armenische Allnationale Bewegung (HHSch).
1990 wurde Ter-Petrosjan zum Parteivorsitzenden der HHSch und zum Parlamentspräsidenten der armenischen SSR, 1991 dann zum Staatsoberhaupt der unabhängigen Republik Armenien gewählt.
Als Präsident verfolgte Ter-Petrosjan das Ziel, die Unabhängigkeit Armeniens auszubauen und gleichzeitig die Beziehungen zu den Nachbarstaaten zu verbessern. Mit letzterem hatte er nicht
sonderlich viel Erfolg. Repressalien und Massaker durch das regierende Volk der muslimischen Azeris in Aserbaidschan beantworteten die in Nagorno-Karabach lebenden Armenier mit einem bewaffneten
Aufstand und der Erklärung der Unabhängigkeit. Obwohl Armenien offiziell in dem Konflikt zwischen Karabach-Armeniern und der aserbaidschanischen Zentralregierung neutral blieb, unterstützte die
Regierung in Eriwan die Aufständischen mit Waffen, Versorgungsgütern und Freiwilligen. Aserbaidschan und die mit ihm verbündete Türkei verhängten ein Wirtschaftsembargo gegen den kleinen
Kaukasus-Staat, der in den 90iger Jahren besonders darunter zu leiden hatte. Da der gewalttätige Konflikt in Georgien auch den Landweg zur Schutzmacht Rußland blockierte, baute Ter-Petrosjan die
Beziehungen zur Islamischen Republik Iran stärker aus. Gleichzeitig versuchte er sich der russischen Dominanz zu entziehen (russische Soldaten überwachten die Grenze zur Türkei und unterhielten
große Stützpunkte im Land), in dem er die Beziehungen zum Westen behutsam ausbaute und Armenien der OSZE und der „NATO-Partnerschaft für den Frieden“ beitrat.1996 wurde Ter-Petrosjan bei einer
umstrittenen Präsidentschaftswahl wiedergewählt. Die unterlegenen Oppositionskandidaten warfen dem Präsidenten „Wahlmanipulation“ vor, Behörden hätten auf Bürger und Angestellte Druck ausgeübt,
für den Präsidenten zu stimmen.
Massendemonstrationen waren die Folge und nach dem Versuch der Protestierenden, das Parlament zu stürmen, ließ Ter-Petrosjan Armeeeinheiten in Eriwan auffahren, die Innenstadt mit Panzern
abriegeln und ein Versammlungsverbot durchsetzen.
Doch die Krise dauerte an. Bis zum 3. Februar 1998 konnte sich Ter-Petrosjan noch im Amt halten, dann trat er zurück.
Als er 1997 den Stufenplan der OSZE akzeptierte, der vorsah, einen Frieden mit Aserbaidschan zu erzielen und die besetzten Gebiete an den muslimischen Nachbarstaat zurückzugeben, verlor er die
Unterstützung des bisher loyalen Militärs. Dabei hatte er nur folgerichtig erkannt, daß die Zeit gegen Armenien
arbeitet:
1. Das Embargo von Türkei und Aserbaidschan und die geschlossenen Grenzen setzten dem kleinen rohstoffarmen Land weiter wirtschaftlich zu.
2. Die Abhängigkeit von Rußland wurde dadurch immer stärker.
3. Der Krieg gegen Aserbaidschan und die Besetzung eines Korridors zwischen Berg-Karabach und Armenien war zwar moralisch gerechtfertigt, verstieß jedoch gegen internationales Recht.
4. Die zunehmenden Einnahmen aus dem Erdölgeschäft würden Aserbaidschan wirtschaftlich und militärisch stärker machen und die Verhandlungsposition von Armenien ebenso schwächen wie die
Möglichkeiten auf einen Sieg bei einem zweiten Krieg.
Die Schlüsse Ter-Petrosjans waren unpopulär, aber logisch. Der letzte Punkt hat sich mit der starken Aufrüstung der aserbaidschanischen Armee bereits bewahrheitet.
Die Opposition warf dem Präsidenten Verrat der nationalen Interessen vor. Verschiedene taktische Manöver wie der Ernennung des „Präsidenten“ der „Republik Berg-Karabach“, Robert Kotscharjan, zum
armenischen Premier brachten auch nichts mehr.
Nachdem 40 Abgeordnete der Regierungsfraktion zur Opposition gewechselt waren und führende Verbündete des Präsidenten, darunter der Außenminister, der Zentralbankchef und der Parlamentspräsident,
im Zuge der Krise zurückgetreten waren, warf auch Ter-Petrosjan das Handtuch, verließ die politische Bühne und zog sich in seinen Beruf als Wissenschaftler zurück.
Die kurz darauf angesetzten Neuwahlen gewann Premier Robert Kotscharjan, der als Vertreter einer „harten Linie“ gegen Aserbaidschan kräftig am Stuhl des Unabhängigkeitspräsidenten mitgesägt
hatte, wobei zahlreiche seiner Gegenkandidaten wieder der Vorwurf der Wahlfälschung erhoben. In den folgenden Jahren versank Ter-Petrosjans Armenische Allnationale Bewegung in der
Bedeutungslosigkeit der außerparlamentarischen Opposition.
Kotscharjan gelang es, das Land wirtschaftlich weiter zu stabilisieren. Das Bruttosozialprodukt pro Einwohner erhöhte sich von 730 US-Dollar (1995) auf 1.920 US-Dollar (2008), dennoch bleibt
Armenien ein sehr armes Land. Auch sind die Energieengpässe nicht mehr so groß wie in den 90iger Jahren. Dies liegt u.a. daran, daß das veraltete und nur 25 km von der Hauptstadt entfernte
Atomkraftwerk Metsamor (Tschernobyl-Typ) noch unter Ter-Petrosjan wieder angeworfen wurde.
Die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage, erkauft mit verstärkter Abhängigkeit von Rußland, sicherte Kotscharjan die Wiederwahl 2003. Nach seiner zweiten Amtsperiode durfte er 2008 nun nicht
wieder antreten.
Als seinen Wunschnachfolger hatte er sich den Verteidigungsminister Sersch Sarkissjan erwählt, den er vor der Wahl zum Premier ernannte. Der Sieg des Kandidaten der Staatsmacht schien von
vornherein festzustehen, zumal er von den staatlichen Medien hofiert wurde, während man über seine Gegenkandidaten kaum etwas erfuhr.
Das plötzliche Auftauchen Ter-Petrosjans aus der politischen Versenkung vor einem reichlichen Jahr überraschte offenbar auch die Herrschenden.
Leider haben auch die deutschsprachigen Medien hierzu wenig oder gar keine Hintergrundinformationen geliefert. Ter-Petrosjan wurde als brillanter Rhetoriker dargestellt, der mit seinen zündenden
Reden zehntausende Menschen gegen die Regierung auf die Straße brachte. Kaukasus-Kenner Peter Scholl-Latour, der 1996 auch Armenien und Berg-Karabach bereiste, beschrieb Ter-Petrosjan als kühlen,
distanzierten Technokraten und weniger als Volkstribun.
Rußlandfreundliche Medien in Deutschland wie die Tageszeitung „Junge Welt“ witterten sofort die Handschrift der USA hinter der Kandidatur und erkannten den Versuch einer „Orangenen Revolution“
wie sie in der Ukraine stattgefunden hatte.
Dafür spricht zunächst, daß den USA die Abhängigkeit Armeniens von Rußland sowie die engen freundschaftlichen und militärischen Verbindungen zwischen beiden Staaten ein Dorn im Auge sind.
Armenien ist ein strategischer Brückenkopf Rußlands und stört die USA empfindlich bei dem Versuch, Rußland mit pro-westlichen Regimes und US-Militärstützpunkten einzukreisen.
Ob die USA mit Ter-Petrosjan für diesen Zweck allerdings auf den richtigen Kandidaten setzen, ist zweifelhaft.
Zwar bediente sich die Opposition um den Ex-Präsidenten ebenfalls der Farbe orange und errichtete Zeltstädte und Protestcamps in Eriwan wie seinerzeit die Opposition in der Ukraine.
Doch dürfte Ter-Petrosjan wohl eher armenische als amerikanische Interessen im Blick haben. Die guten Kontakte zu den USA könnten zu besseren Beziehungen zu den US-Verbündeten Aserbaidschan und
Türkei und zu Aufhebung derer Sanktionen führen, was wirtschaftlich extrem wichtig wäre. Auch die Abhängigkeit von Rußland, das mittlerweile das gesamte armenische Eisenbahnnetz dank eines
Knebelvertrages kontrolliert, könnte verringert werden.
Ein anti-russischer Bulldozer vom Typ des georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili ist
Ter-Petrosjan trotzdem nicht. Er ist sich der Abhängigkeit und der Notwendigkeit guter Beziehungen zu Moskau durchaus bewußt. Ein Armenien unter seiner Führung hätte wohl eher eine neutrale
Position im USA-Rußland-Konflikt eingenommen, als die eines Pentagon-Brückenkopfes. Noch im Wahlkampf hatte Lewon Ter-Petrosjan seine Kontakte nach Rußland intensiviert, um offenbar im Kreml
keine Unruhe aufkommen zu lassen.
Die Präsidentschaftswahl am 19. Februar 2008 endete erwartungsgemäß mit dem Sieg des Regierungskandidaten Sersch Sarkissjan von der Republikanischen Partei (HHK), der bereits im ersten
Wahlgang 52,8% der Stimmen erhielt. Ter-Petrosjan lag mit 21,5% auf Platz zwei, gefolgt von Ex-Parlamentspräsident Artur Baghdasarjan mit 16,7%.
Weitere Kandidaten waren Vahan Hovhannisian, Mitglied der nationalistischen Traditionspartei Armenische Revolutionäre Föderation (Daschnak), Artaches Guegamian, Führer der Nationalen
Einheitspartei, Wasgen Manukjan, seines Zeichens früherer Premierminister, x-facher Präsidentschaftskandidat (mindestens aber 3x) und Vorsitzender der National-Demokratischen Union,
sowie Aram Harutyunian von der Nationalen Solidaritätspartei und Tigran Karapetian (Volkspartei).
Baghdasarjans Partei Land des Rechts (OE) wechselte nach der Wahl ins Regierungslager und wurde mit Ministerposten belohnt.
Es folgten – fast schon traditionell bei armenischen Präsidentschaftswahlen – die Vorwürfe der Opposition, die Regierung habe Wahlbetrug begangen, die obligatorischen Massenproteste, ein kurzer
Ausnahmezustand, Verhaftung Oppositioneller (für Ter-Petrosjan als Promi gab es „nur“ Hausarrest) und nach ein paar Wochen kehrte wieder Ruhe ein.
Daß ein früherer Präsident, der bei seinem Abgang extrem unpopulär war und von dessen Herrschaft die meisten Bürger den Krieg mit Aserbaidschan, die Folgen der Wirtschaftsblockade, lange
Stromausfälle und ungeheizte Wohnblocks in Erinnerung hatten, bei der Wahl über 20% der Stimmen holte, ist schon erstaunlich. Hinzu kommt, daß die Medien fast schon kampagnenhaft diese Zustände
herausstellten, um dem Kandidaten zu schaden.
Das unter diesen Umständen erzielte Wahlergebnis zeigt, welch breite Unzufriedenheit mit der Regierungsclique es im Volk geben muß. Denn wer im heutigen Armenien nicht zu den herrschenden Clans
zählt, hat so gut wie keine Aufstiegschancen. Deshalb fiel der Ter-Petrosjans harsche Kritik am „korrumpierten Regime“ von Kotscharjan, Sarkissjan und Co. offenbar auf so fruchtbaren Boden.
Ohne eigene tragfähige Organisation schaffte es der Ex-Präsident bei seinen Kundgebungen zeitweilig bis zu 100.000 Menschen (bei drei Mio. Einwohnern) auf die Straße zu bringen. Seine
Unterstützer reichten von reichen Geschäftsleuten (die er bei aller Kritik an Korruption und Vetternwirtschaft aussparte) über verschiedene außerparlamentarische Linksparteien wie die
sozialistische Volkspartei von Armenien, die Sozialdemokraten, die Partei „Neue Zeit“, die Vereinigung „Azadakrum“ und die sozialistische Armenische Republikanische
Partei bis hin zu der mit sieben Abgeordneten im Parlament vertretenen Zentrumspartei „Zharangutiun“ (zu deutsch: „Erbe“). Die inzwischen von Ararat Zurabian geführte Armenische
Allnationale Bewegung (HHSch) unterstützte ebenfalls ihren früheren Chef Ter-Petrosjan.
Bei den gewaltsamen Protesten, die nach der Wahl folgten, kamen mindestens acht Personen ums Leben, darunter auch ein Polizist. Mehrere hochrangige Beamte, Diplomaten und Minister wechselten in
das Lager der Opposition.
Nach den ersten Toten forderte der 63-jährige Ter-Petrosjan seine Anhänger zum Rückzug auf:
„Unsere Kräfte sind nicht gleich verteilt und wir sind von Soldaten umzingelt.“
Seit diesen Worten ist es ruhiger geworden um die armenische Opposition. Zumindest, was man davon im Ausland wahrnimmt.
Eines scheint die Kandidatur Ter-Petrosjans allerdings bewirkt zu haben. Der neue Präsident Sarkissjan scheint Kompromissen mit den Nachbarstaaten zugänglicher zu sein als sein aus Karabach
stammender Vorgänger. Er traf sich am Rande eines Fußallspieles mit dem türkischen Präsidenten Abdullah Gül, was von der Bevölkerung in beiden Ländern umstritten war und sucht offenbar nun den
Ausgleich mit Aserbaidschan.
Feststeht, mit Hilfe Lewon Ter-Petrosajans sollte ein Kurswechsel Armeniens in Richtung Westen eingeleitet werden. Es ist allerdings klar, daß sich die USA dabei verrechnet haben – sowohl was den
erhofften Wahlsieg des Kandidaten angeht, als auch was dessen politische Ausrichtung angeht. Denn bei aller Kompromißbereitschaft und allen taktischen Zugeständnissen – für Ter-Petrosjan hatten
die Interessen Armeniens immer oberste Priorität.
Wenn man beim Beispiel der Orangenen Revolution in der Ukraine bleiben will: er dürfte wohl eher mit Premierministerin Julija Timoschenko, als mit dem Präsidenten Viktor Juschtschenko
vergleichbar sein.
Oder vielleicht legen die USA nach ihrem Georgien-Desaster gar keinen Wert mehr auf hundertprozentige Vasallentreue?
Kay Hanisch
Sambia
Die Präsidentenwahl in Sambia brachte nicht nur keinen Wechsel, sondern kam auch sonst wie ein Remake der vorherigen Wahl von 2006 daher. Die Kandidaten waren nämlich
alles gute alte Bekannte.
Nachdem der sambische Staatspräsident Levy Mwanawasa im August diesen Jahres an einem Gehirnschlag gestorben war, übernahm sein Vizepräsident
Rupiah Banda die Amtsgeschäfte.
Laut Verfassung musste nun innerhalb von drei Monaten ein neuer Präsident gewählt werden.
Die seit 17 Jahren regierende Bewegung für Mehrparteiendemokratie (MMD), die 1991 die alte sozialistisch orientierte Staatspartei UNIP (Vereinigte Nationale Unabhängigkeitspartei)
abgelöst hatte und die Sambia in eine Demokratie umwandeln wollte und dies zum Teil auch tat, gebärdet sich aber nun immer mehr wie eine neue Einheitspartei.
Zur Wahl schickte sie ihr Parteimitglied, den Interimspräsidenten Rupiah Banda ins Rennen. Dieser steht für den von Mwanawasa eingeschlagenen Kurs einer investorenfreundlichen
Regierungspolitik.
Von Sambias wichtigstem Rohstoff, dem Kupfer, sowie vom allmählich aufblühenden Tourismus profitieren vornehmlich ausländische Konzerne und eine schmale Oberschicht, während ca. 80% der
Bevölkerung in Armut lebt. Besonders die Chinesen haben sich die ehemaligen staatlichen Kupferminen unter dem Nagel gerissen.
Die Arbeitsbedingungen in den chinesischen Minen sind erbärmlich und gefährlich. Immer wieder kommt es zu Unfällen mit Toten.
Dies machte sich vor allem Bandas schärfster Konkurrent, der Populist Michael Sata zu Nutze. Er verfügt über starken Rückhalt im Copperbelt, dem Kupfergürtel des Landes, wo die meisten
Bodenschätze lagern und verspricht niedrigere Steuern und Gratis-Wohnungen. Sata sagte sich 2001 von der MMD los und gründete die Patriotische Front (PF) als neue Oppositionspartei. Seinen
radikal-populistischen Kurs hat Sata mittlerweile etwas abgemildert. Von seiner Drohung, die Chinesen aus dem Land zu werfen und Taiwan anzuerkennen, ist er abgerückt. Allerdings möchte er
ausländische Investoren dazu verpflichten, das sambische Arbeitsrecht einzuhalten – was durchaus zu begrüßen ist.
Zum zweiten Mal trat auch der Geschäftsmann Hakainde Hichilema von der liberalen Vereinigten Partei für Nationale Entwicklung (UPND) an. Auch bei dieser Wahl festigte er seinen Ruf als
„ewiger Dritter“. Nach dem Tod ihres Parteigründers Anderson Mazoka fehlt der UPND ein charismatisches Zugpferd. Zur Wahl 2006 wurde Hichilema neben seiner Partei von der linken UNIP und dem
Forum für Demokratie und Entwicklung (FDD), einer MMD-Abspaltung, unterstützt.
Die UNIP, die heute von Tilyenji Kaunda, dem Sohn des Staatsgründers und früheren Präsidenten (1964-91) Kenneth Kaunda, geführt wird, hielt sich eine ganze Zeit lang bedeckt über ihre Absichten.
Im August verkündete noch der Generalsekretär Alfred Banda, man werde Tilyenji Kaunda ins Rennen schicken, doch dieser trat dann im Oktober gar nicht erst an.
Kaunda jr. verfügt nicht über das Charisma seines Vaters, bei den Präsidentschaftswahlen 2001 erreichte er nur etwas über 10% der Stimmen.
Wie sich die UNIP nach dem Rückzieher ihres Vorsitzenden positioniert hat, war nicht in Erfahrung zu bringen.
Allerdings unterstützte der 84-jährige Ex-Präsident Kenneth Kaunda den MMD-Kandidaten Rupiah Banda. Dieser war unter Kaunda sr. mehrfach Minister und UNIP-Mitglied.
Auch der vierte Kandidat war ein alter Bekannter! Der ehemalige General Godfrey Miyanda von der Heritage Party (HP) war unter dem ersten MMD-Chef, dem von 1991-2001 autoritär regierenden
Frederick Chiluba, Vizepräsident. Bereits 2006 hatte er als Kandidat für das Präsidentenamt nur 1,57% der Stimmen bekommen. Sein diesjähriges Ergebnis war mit 0,76% sogar noch schlechter. Nach
seiner Entzweiung mit der MMD wurde Miyanda zum „Einzelgänger in der sambischen Politik“. In dieser Eigenschaft ist er z.B. der einzige Parlamentsabgeordnete seiner Partei.
Auch das Wahlergebnis war wie 2006 äußerst knapp. Mit nur 40,09% siegte der 71-jährige Rupiah Banda vor dem ebenfalls 71-jährigen Sata mit 38,13%. Auch bei der diesjährigen Wahl gab es Zweifel an
der Rechtmäßigkeit des Ergebnisses und Straßenproteste der Patriotischen Front.
Sata rief seine Anhänger – ebenfalls wie 2006 – nach einiger Zeit wieder zur Ordnung. Und das, obwohl er zuvor angekündigt hatte, einen Wahlbetrug bei dieser Wahl nicht zu akzeptieren.
Zwar bescheinigte die Südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft SADC, ein Zusammenschluß afrikanischer Staaten, an den Wahlen sei nichts Gravierendes zu beanstanden, aber gleichwohl waren die
Machtmittel ungleich verteilt. Die staatlichen Medien und das gesellschaftliche Etablishment hofierten Banda. Ein hoher Heeresgeneral drohte vor der Wahl mit dem Einsatz von Gewalt, sollte das
Wahlergebnis nicht akzeptiert werden. Dies wurde von der Opposition als Einschüchterung gewertet.
Dubios war ebenfalls, daß Sata bei der Stimmenauszählung zunächst in Führung lag, das Wahlergebnis später als erwartet verkündet wurde und dann der Sieg Bandas bekannt gegeben wurde. Hier besteht
durchaus die Möglichkeit, daß das Ergebnis zu Gunsten des Regierungskandidaten schöngerechnet wurde, zumal in Sambia nur eine einfache Mehrheit zum Wahlsieg benötigt wird. Sata lag nämlich nach
der Auszählung von Teilergebnissen aus 102 von 150 Wahlkreisen vorn, während die MMD vor der Verkündung des Endergebnisses schon ihren Sieg verkündete.
Sata und Halkainde Hichilema, der 19,7% der Stimmen bekommen hatte, kündigten darauf hin an, einen Wahlsieg Bandas nicht anzuerkennen.
So wie schon der verstorbene Levy Mwanawasa bei seinem umstrittenen Wahlsieg 2006, ließ sich auch Rupiah Banda kurz nach der Ausrufung zum Wahlsieger als Präsident vereidigen, um mögliche
Zweifler an der Rechtmäßigkeit der Wahl vor vollendete Tatsachen zu stellen.
Das Forum für Demokratie und Entwicklung FDD, das 2006 noch Hichilema unterstützt hatte, begrüßte die Wahl Bandas.
An der Vereidigungszeremonie nahmen neben dem Unabhängigkeitsführer und ehemaligen sambischen Staatspräsidenten Kenneth Kaunda (UNIP) auch die Präsideten Malawis, Südafrikas und Simbabwes teil.
Dies galt als Zeichen einer gewissen Normalisierung. Besonders zwischen Simbabwes Robert Mugabe und Mwanawasa war es oft zu politischen Differenzen gekommen, sowohl wegen Sambias prowestlicher
und Simbabwes anti-imperialistischer Außenpolitik, als auch wegen Mugabes autoritärem Regierungsstil.
Mit der Wahl Bandas wird der Kuschelkurs mit den internationalen Kreditgebern und Konzernen fortgesetzt. Doch wenn nicht bald auch die breite Masse der Bevölkerung teilhat an den Gewinnen aus dem
Kupferabbau, dann dürfte auch im noch so ruhigen Sambia bald ein anderer Wind wehen.
Kay Hanisch